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Die Vergeßlichkeit der Union

■ * betr.: "Keiner versteht uns", Kommentar von Stefan Reinecke, "5 Mark als giftig-grüne Knubbel" u.a., taz vom 16.3. 98

Das Ausmaß der Debatte um die fünf Mark für den Liter Sprit hat mich wirklich überrascht, denn schon im letzten Wahlprogramm der Grünen war genau von diesem Betrag die Rede, in genau den gleichen Erhöhungsschritten. Nun stürzt sich die gesamte Presse auf diese „Neuheit“.

Die Koalition will nun an den Tankstellen mit Polemik den Wahlkampf gewinnen. Dabei weiß selbst die Union, daß eine ökologische Steuerreform – letztendlich zur Entlastung der Lohnnebenkosten – mehr als notwendig ist. Dokumentiert hat die Union dies in ihrem Grundsatzprogramm vom Februar 1994. Dort wurde gefordert, „ökologische Ordnungselemente im Steuerrecht und Umweltabgaben“ einzuführen, um „durch solche marktwirtschaftlichen Anreize die Umweltschonung (zu belohnen) und die Inanspruchnahme von Umwelt (zu belegen)“. In diesem Sinne sprach sich 1994 auch der von der Bundesregierung beauftragte Sachverständigenrat für Umweltfragen für eine Erhöhung der Kraftstoffpreise auf 4,60 DM pro Liter im Jahre 2005 aus.

Bis auf Frau Merkel, die eine Erhöhung des Benzinpreises für eine „gute Grundidee“ hält, scheint all dies die Union um der bloßen Macht Willen vergessen zu haben. Sönke Zankel, Itzehoe

Opportunisten sagen immer, diese oder jene Forderung sei sachlich richtig, aber leider, leider politisch falsch. Die Grünen wollen den Fünf-Mark-Spritpreis. O.K. Pfarrer Hintze, Wachstumsfetischist aus dem industriellen Dinosaurierlager, beschwört den Untergang des Industriestandorts Deutschland. Kennen wir diese Szenarien nicht schon alle? [...]

Aber was schlägt Stefan Reinecke denn vor für den Wahlkampf, was soll dem Wahlvolk denn verheimlicht werden? Soll verheimlicht werden, daß es, wenn wir es ernst mit dem ökologischen Umbau meinen, daß wir alle weiter so wie bisher wirtschaften können, und hie und da ein Öko-Audit vergeben wird? Daß das keine einschneidenden Maßnahmen bei der Umstellung unseres verschwenderischen Lebensstils erfordert? Warum soll dem Wahlvolk, einschließlich dem grünen, nicht die Wahrheit erzählt werden. Wann, wenn nicht hier und heute, soll denn die Öko-Steuerreform eingeleitet werden?

Nein, wir sollten Pfarrer Hintze ganz im Gegenteil dankbar für seine Vorgaben sein. Dankbar dafür, daß nicht bloß über weiteres umweltzerstörerisches Wirtschaftswachstum palavert wird, um angeblich die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Endlich wird die Ökologie dank der Steilvorlage von Hintze zu einem der zentralen Wahlkampfthemen gepuscht. Jetzt muß mensch hineinsprinten in diesen Doppelpaß, damit es so richtig schön kracht im Tor der Schwarzen. Die müssen wir jetzt auf dieses Thema festnageln und fragen, was die CDU eigentlich gedenkt zu tun, um „Gottes Schöpfung zu bewahren“, wie es doch in den Sonntagsreden von Pfarrer Hintze und Noch-Kanzler-Kohl so schön heißt. Richard Pestemer, Neunkirchen

Auf welchem Planeten haben die Grünen in den vergangenen 15 Jahren eigentlich gelebt? Bis heute scheinen sie nicht verstanden zu haben, daß für uns Deutsche nicht die Kuh, wohl aber das Automobil heilig ist. Nun hat zwar die Parteispitze flügelübergreifend die Ablösung der Regierung Kohl durch Rot-Grün beschlossen und auch verkündet, die Basis scheint das jedoch nicht zu interessieren. Sie versammelt sich nach wie vor gerne in und um ihre nicht nur materiellen, sondern auch geistigen Feuchtbiotope und merkt nicht, wie CDU/ CSU und SPD das Problem „Grüne“ unter deren tatkräftiger Unterstützung auf eleganteste Weise lösen. Das Ziel der Grünen ist offensichtlich der Weg und nicht etwa eine Regierungsbeteiligung.

Die kommende Bundestagswahl dürfte ihre letzte Chance sein; die heute 20jährigen planen ja wohl eher den massenhaften FDP- Beitritt als die Rebellion gegen das Establishment zugunsten von Lurchen und Molchen. Die Spezies der Ewig-Gestrigen findet sich eben nicht nur im rechten Spektrum. Die Forderung nach einem Benzinpreis von fünf Mark ist ein Sakrileg und wird von den Gläubigen, pardon – den Wählerinnen, hoffentlich nicht gleich nach Art der Orthodoxen mit dem Tode bestraft, oder wie Joschka Fischer es gerne formuliert: Avanti diletanti! Hermann Ried, Burgau

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