Immunitätsausschuß: Gysi war Stasi-IM

Bundestagsausschuß legt nach sieben Jahren Arbeit über Stasi-Tätigkeit Gregor Gysis vorläufigen Endbericht vor. FDP und PDS mit abweichender Stellungnahme. Gysi kündigt Gang vors Bundesverfassungsgericht an  ■ Von Dieter Rulff

Berlin (taz) – Der Immunitätsausschuß des Bundestages hat „eine inoffizielle Tätigkeit des Abgeordneten Dr. Gregor Gysi für das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR als erwiesen festgestellt“. Der Ausschuß stimmte mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit (15 Stimmen von CDU/CSU, Grüne und SPD) dem vorläufigen Endbericht über die Stasi-Tätigkeit Gysis zu. Die PDS und FDP (jeweils eine Stimme) gaben eine abweichende Stellungnahme ab. Gysi erhält jetzt noch einmal die Gelegenheit zu einer Stellungnahme. Wenn er jedoch keine neuen Erkenntnisse unterbreitet, wird das jetzige Votum am 2. April ein endgültiges.

Der PDS-Gruppenvorsitzende hatte in den letzten Tagen noch Papiere nachgereicht. Diese Unterlagen der Gauck-Behörde werden aber kaum etwas an dem Urteil des Ausschusses ändern. Gysi hat, so heißt es darin, „seine Anwaltstätigkeit für Robert Havemann, Rudolf Bahro, Franz Dötterl sowie Gerd und Ulrike Poppe dazu benutzt (hat), um im Rahmen seiner inoffiziellen Zusammenarbeit dem MfS Informationen über seine Mandanten zu liefern und Arbeitsaufträge des MfS auszuführen“.

Diese Feststellung wird den Rechtsstatus des Bundestagsabgeordneten nicht tangieren, sie hat allenfalls politische Bedeutung. Allerdings wird die Berliner Anwaltskammer im Laufe der nächsten Wochen die Unterlagen einsehen und darüber befinden, ob der Anwalt Gysi gegen seine Standespflichten verstoßen hat. Wie der Vorsitzende der Anwaltskammer, Bernhard Dombek, der taz erläuterte, werde dabei auch die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in die Entscheidung einbezogen. Danach müsse berücksichtigt werden, wieviel Jahre das mögliche Vergehen zurückliege. Im Klartext: Theoretisch könnte Gysi die Zulassung entzogen werden, doch müßte es sich schon um einen ganz gravierenden Verstoß handeln.

Auch das Bundesverfassungsgericht wird sich nochmals mit dem Fall befassen. Gysi hat bereits den Gang nach Karlsruhe angekündigt. Allerdings werden die Richter allenfalls Verfahrensmängel des Ausschusses bei der Wahrheitsfindung feststellen können. Der Ausschußvorsitzende Dieter Wiefelspütz sieht dem Verfahren mit Gelassenheit entgegen, schließlich sei Gysi schon einmal in Karlsruhe mit Pauken und Trompeten durchgefallen. Nach Ansicht des FDP-Abgeordneten van Essen wäre ein Einspruch der Verfassungsrichter eine „politische Katastrophe“. Van Essen hatte deshalb im Ausschuß dafür plädiert, weitere Materialien der Gauck-Behörde abzuwarten, um letzte Zweifel auszuräumen. Diesem Vorschlag wollte die Ausschußmehrheit jedoch nicht folgen, immerhin befaßt man sich seit bald sieben Jahren mit dem Fall Gysi. Van Essen blieb bei seiner Minderheitsposition, daß es zwar belastende Indizien gebe, letzte Zweifel an der Stasi-Mitarbeit aber nicht ausgeräumt seien. Den Vorwurf einiger Kollegen, nicht voll mitgearbeitet zu haben, wies van Essen von sich.

Daß der Ausschuß jetzt sein Ergebnis vorlegt, hat bei einer Reihe linker Persönlichkeiten den Verdacht genährt, daß es sich um „eine besondere Form der Wahlkampfführung“ handelt. Die Unterzeichner eines Aufrufes, unter ihnen die Professoren Peter Brandt, Frank Deppe und Uwe Wesel sowie die Schriftsteller Daniela Dahn, Dieter Lattmann und Jakob Moneta, berufen sich auf „zahlreich erlassene Urteile“, die eine Stasi-Tätigkeit Gysis verneinen. Diese Urteile wurden allerdings hauptsächlich in Presseverfahren von einem Hamburger Gericht gesprochen. Die Bürgerrechtlerin Freya Klier verweist darauf, daß Berliner Richter ihr in zwei Instanzen das Recht zusprachen, Gysi einen Stasi-Mitarbeiter zu nennen.

Unabhängig von diesen divergierenden juristischen Einordnungen steht für CDU-Generalsekretär Peter Hintze das Urteil über Gysi fest: „Wer Menschen an die Stasi verraten hat, hat den moralischen Anspruch verloren, Mitglied des Deutschen Bundestages zu sein.“ Der Abgeordnete der Bündnisgrünen, Gerd Poppe, eines der Gysi-Opfer, geht allerdings davon aus, daß mit der Feststellung der Stasi-Tätigkeit Gysis politische Karriere nicht beendet ist. Er bedauert, daß dieser nach wie vor nicht bereit sei, sich zu seiner Verstrickung offen zu äußern.