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Chirac schilt die Geister, die er rief

In einer Fernsehansprache warnte Frankreichs Staatspräsident vor jeder Zusammenarbeit mit der „rassistischen und ausländerfeindlichen Partei“ Front National  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Jacques Chirac hat ausnahmsweise einmal allen gefallen. Oder fast. In dem großen Chor derjenigen, die gestern erleichtert die klare Fernsehansprache des französischen Staatspräsidenten, in der er die Front National eine „rassistische und ausländerfeindliche“ Partei nannte, die Konservativen vor jeder Zusammenarbeit mit ihr warnte und Reformen des Wahlrechtes ankündigte, lobten, fiel bloß der Chef der Rechtsextremen, Jean-Marie Le Pen, auf. Er nannte Chiracs Rede einen „Aufruf zur Gewalt“. Ansonsten zeigten sich selbst die fünf konservativen Umfaller beeindruckt, die sich am vergangenen Freitag mit den Stimmen der Front National zu Regionalpräsidenten hatten wählen lassen. Zumindest einer von ihnen, der Regionalpräsident der Bourgogne, Jean-Pierre Soisson, erwog gestern seinen Rücktritt.

Chirac war am Montag abend vor dem Hintergrund einer französischen und einer europäischen Fahne vom Elysée-Palast aus vor die Fernsehnation getreten. Er habe den Eindruck, erklärte er, „daß man dabei ist, den Sinn der Dinge aus den Augen zu verlieren. Daß die Leidenschaft die Vernunft ersetzt. Und daß Gefahr besteht, Frankreich weh zu tun.“

In scharfen Worten verurteilte er die konservativen Politiker, die sich mit den Stimmen von Rechtsextremen wählen ließen, und forderte sie zum Rücktritt auf. Er kritisierte die Linke, die „Öl ins Feuer“ gegossen habe. Und erinnerte die Wähler der Front National an ihre Verantwortung. Zugleich kündigte er eine Reform des Wahlrechtes an, die längst überfällig sei, und sprach von einer nötigen Modernisierung der Politik.

Bloß von seiner eigenen Verantwortung sprach der Staatspräsident nicht. Dabei hatte er einerseits selbst erst vor knapp einem Jahr mit seiner Parlamentsauflösung die Konservativen in die Defensive getrieben. Und gehört andererseits, als politischer Erbe des Résistance-Chefs und Gründers der V. Republik, Charles de Gaulle, und als Gründer der größten Oppositionspartei RPR, auf die Seite jener Parteien, deren Politiker seit Jahren immer offener mit den Ideen der Front National kokettieren.

Die Idee, die „Rechtsextremen in einer Umarmung zu erdrücken“, die manche französische Konservative trotz des stark von rechtsextremen Ideen geprägten Klimas heute für möglich halten, fiel am Sonntag beim zweiten Durchgang der Kantonalwahlen durch – beide rechte Parteien erlitten starke Verluste. Während die Sozialisten 340 Sitze hinzugewannen, die Kommunisten 34, Grüne und Bürgerbewegung je einen, verloren die konservativen UDF und RPR in den französischen Kantonen gemeinsam 364 Sitze, die Front National gewann drei hinzu.

Diejenigen konservativen Kandidaten, die sich eigentlich auf eine Wahl mit Hilfe der Front National eingestellt hatten, verstanden die Botschaft. Zwei von ihnen traten am Montag, kaum waren sie gewählt, wieder von ihren Posten zurück.

Das Chaos in Frankreichs Regionen ist damit noch lange nicht zu Ende. Drei Regionen – Midi- Pyrenées, Haute Normandie und Franche-Comté – mußten gestern neue Kandidaten und neue Wahltermine für die Wahlen ihrer Präsidenten suchen. Von den übrigen 19 Regionen hatten gestern 14 einen rechten Präsidenten und fünf einen linken. Mit dem ursprünglichen Wählervotum hat das Ganze wenig zu tun: Am Wahlsonntag vor etwas mehr als einer Woche hatten die Linken in 13 Regionen die Mehrheit errungen.

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