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Dynamit im Muskel

■ Ex-Israelkorrespondent Friedrich Schreiber zu Gast in der Neustadtbibliothek

Neulich hier im Blatt: Die „Gurke des Tages“trauerte mit einem orthodoxen Israeli, der sich auf gemeines Geheiß fundamentalistischer Rabbiner von seiner Frau scheiden lassen mußte. Grund: Sie wurde vergewaltigt, war also nicht mehr ehefähig. Ein paar tazzen später wurde diese gruselige Meldung der epd-Nachrichtenagentur als Irrtum geoutet. Die deutsche Israelberichterstattung scheint noch immer hochneurotisiert. Eine grundsätzliche Skepsis gegenüber den Meinungsmachern ist stets angebracht. Umso besser, daß man einen unserer Wichtigsten auf Einladung von Stadtbücherei und Buchhandlung Geist kennenlernen und prüfen konnte.

Friedrich Schreiber prägte vom 1988 bis 1997 das Israelbild der ARD. Im zweiten Golfkrieg fiel er tendenziell unangenehm auf durch seine eher menschelnde, wenig distanzierte, Hintergrund und Überblick verweigernde Anteilnahme an den von Scud- (und floppenden Patriot-) Raketen bedrohten Israelis in ihren Luftschutzbunkern. Vor Bremer Publikum dagegen erstaunte er durch seine branchenübliche Coolness. Ein paar saloppe Bemerkungen über „buten & binnen“und seine bayerische Herkunft wurde da integriert in eine problematisch-sympathische deformation proféssionelle: Wer Leichenbergen und Raketenlärm ausgesetzt war, ist durch nichts mehr zu erschüttern. Eine toughe Haltung, die man auch bei den „Sommergästen“von Radio Bremen stets aufs neue bewundern, beneiden, belächeln kann.

Bei seiner bunten Geschichtsstunden-, Anekdoten-, Leseproben-Collage zeigte Schreiber deutlich mehr Einfühlungsbereitschaft für die israelische Problematik als für die palästinensische – und erntete damit natürlich keinen Widerspruch. Der mal kalte, mal heiße Kriegszustand, meint er, sei „nicht immer die Schuld der Israelis, sondern eher (!) die Schuld der Araber.“So kann er auch in der Teilung des britischen Mandatsgebiets durch die UN-Vollversammlung nicht die Grundkonstellation zu einem unlösbaren Konflikt von antiken Ausmaßen sehen. Zwischen Henne und Ei der Aggression weiß er zu scheiden. Auslöser ist die Israel-ins-Meer-Brutalität der Araber.

Umso erfreulicher stimmt dann ein Blick in Schreibers Buch „Schalom Israel. Nachrichten aus einem friedlosen Land“. Außerordentlich kompetent und schnörkellos erzählt Schreiber die komplizierte Geschichte des verdammten, vor allem verdammt kleinen Flecken Erde bestens geordnet herunter. Anders als bei Peter Scholl-Latour muß der Leser nicht mit einem Hammettschen Macho-Korrespondentenhelden hinter umgekippte Fahrzeuge in Deckung hüpfen, an Bars von Nobelhotels Whisky hinter die Binde kippen – mit zynischen Gedanken im Schädel und fremdländischen Frauen hinterherglotzend. Kein dreitagebärtiges Ego drängt sich zwischen Leser und Politik. Die Sehnsucht nach Abenteuerthrill bedient hier niemand. Statt dessen wird all das, was einst Medienereignis war, vom gefährlichen schwarzen Loch mit Namen Vergessen wieder ausgespuckt: der Sechstagekrieg, der das jüdische Überlegenheitsgefühl zementierte, die Gemetzel in Beiruts Bezirken Sabra und Schatila, die Rückgabe der Sinaihalbinsel. Genau zeichnet Schreiber die Zickzackmuster wechselnder Koalitionen nach, erzählt wie Israel die Syrer am Rauswurf der Palästinener aus dem Libanon hinderte, wie der spätere Versöhner Rabin seinen künftigen Friedenspartner Arafat noch 1985 in Tunis kurzerhand in die Luft bomben wollte und wie sich Syrien im zweiten Golfkrieg auf die prokuwaitische, also anti-antiisraelische Seite schlug.

Zwischen den harten Fakten nisten sich immer wieder sprechende Details ein, Jahwe sei Dank, ohne Featuregeschwätzigkeit. Schreiber erzählt von einem Jigal Amir-Fanclub in der rabiat-orthodoxen Gemeinde des fernen Brooklyn; per Zeitungsannonce suchte der für den verehrten, leider ledigen Rabin-Attentäter eine liebe Braut. Man erfährt wie junge israelische Frauen ihre Angst vor den Scuds kompensierten durch buntes Bemalen der Gasmaskenschächtelchen – oder durch schräge Weltuntergangs-Partys am Rande Tel Avivs. Und man wird darüber in Kenntnis gesetzt, daß sich das ARD-Team gegen die Intifada-Steine wappnete durch die gelben Schutzhelme des „Eislaufvereins Landshut“.

Eigentlich sympathisch, Schreibers kritisches Schulterklopfen für die alten jüdischen Briten wegbombenden Recken: „Diese Jungs hatten schon Dynamit im Muskel.“Auf die unvermeidliche Frage nach der Zukunft meint Schreiber, daß es irgendwann einmal zwangsläufig zu einem Frieden in der Teilung kommt. Grund: Es gibt keine Alternative. Je länger man sich aber durch das Buch arbeitet, desto mehr drängt sich der Eindruck auf, daß Israelis und Palästinenser ein ausgesprochenes Geschick beweisen im Aufspüren eines miesen Modus vivendi ohne Frieden. Wechselnde Gleichgewichte wechselnder Schrecken haben das Zeug zum perpetuum mobile. Barbara Kern

Beck München 1998, 48 Mark

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