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E-Mail von der Front

■ Mit Tastatur statt Gewehr: Wie Algerier über die Krise ihres Landes debattieren

Religiöse Fanatiker diskutieren mit radikalen Republikanern, Zentralisten verherrlichen die arabische Kultur, Berber verfechten die Eigenständigkeit der Kabylei, FIS-Anhänger reden mit Menschen, die uneingeschränkt das algerische Militärregime unterstützen. Der algerische Bürgerkrieg wird auch in Diskussionsforen des Internets geführt, wenn auch nur verbal – und oft anonym. Alles andere wäre mörderisch.

„Erkundige dich doch schon mal nach den Maßen eines Grabes“, empfiehlt eine anonyme Mail einem gewissen Chibani auf der Website http://www.mena.net/ algeria/. Chibani hatte eine Nachricht, die einfach die drei Buchstaben FIS – die Abkürzung für Islamische Heilsfront – enthielt, unzählige Male mit „FIS = Front Imbecils Stupids FIS = Front Idiots Satanics, FIS = Front Impotants Sexuels“ beantwortet.

Nicht alle wollen den Verunglimpfer gleich umbringen, einige empfehlen ihm nur die Klapse. Andere nehmen die Forderung nach einem islamistischen Algerien mit Humor: „Ach, die Jugend. Der USMA hat den MPO mit 2:0 besiegt. Endlich schlafe ich wieder ruhig“, hält ein gewisser Fahssi seine Begeisterung über das Ergebnis des Lokalderbys von Algier einem Anonymus entgegen, der die Zeile „Islamische Republik, wenn nicht heute, so hoffentlich morgen“ auf der Diskussionsseite abgelegt hat.

Aber Said le Roubia wird das Treiben der Islamisten zu bunt. „An alle terroristischen Teilnehmer: Stoppt die Massaker. Und hört mit euren Texten auf. Damit ermordet ihr die Opfer ein zweites Mal“, tobt er. Prompt bekommt er eine anonyme Antwort: „Bist du etwa der Said le Roubia, den ich aus meiner Kindheit kenne? Dann paß bloß gut auf dich auf.“ Said le Roubia gibt keine Ruhe. FIS- Führer Madani habe sich zum drittenmal verheiratet, teilt er mit, „die Frau könnte seine Tochter sein“.

„Was spricht dagegen? Bist du etwa neidisch?“ muß sich Said le Roubia fragen lassen, bevor ein langes Traktat für die Polygamie folgt. Nicht nur der Islamismus, auch die Forderung nach mehr kultureller Eigenständigkeit der 25 Prozent starken Berberminderheit stellt sich schnell als Reizthema heraus. „Cauchemar“ (Alptraum) versucht die Debatte auf seine Art zu beenden: „An alle Berber in Mena. Hunden wie euch müßte das Recht auf Existenz verwehrt sein. Ihr seid eine Beleidigung für die Schöpfung.“

Einem Schreiber mit dem bezeichnenden Pseudonym Serbian kommen solcherlei Haßtiraden nur allzu bekannt vor: „Geht denen nicht auf den Leim, die wollen mit euch spielen wie mit uns, indem sie den Rassenhaß zwischen Arabern und Berbern schüren“, warnt er. Bitte keine Beschimpfungen. Wir wollen den Austausch von Ideen zwischen Algeriern und keinen Kampf“, ruft einer der Betreiber der Mena-Seite verzweifelt nach Ruhe. Es nutzt nichts. Während auf der Site von Le Monde diplomatique (www.monde-diplo matique.fr/md/forum/algerie/mail list.htm#00006) Intellektuelle, Professoren und Journalisten über die Lage der Menschenrechte, der Pressezensur und der Demokratie diskutieren, ist das Spitzenthema in der Newsgroup „soc.culture .algeria“ das Familiengesetz, das noch unter dem Einparteienregime der FLN verabschiedet wurde. Die einen verteidigen mit dem Koran die darin festgelegte ewige Unmündigkeit der algerischen Frauen, die für jede wichtige Entscheidung im Leben einen männlichen Tutor brauchen. Andere wollen die Frauen endlich mit den Männer gleichstellen. Als „Bachus“ gar fragte: „Gibt es das Delikt der Vergewaltigung in der Ehe?“, löste er eine neue Polemik aus. Wer darüber vergessen hat, worum es geht, sollte unter www.eng.abdn.ac.uk/~hayat/ das „Gedicht für die glücklichen Algerier“ lesen, mit dem die seit Jahren im Pariser Exil lebende bedeutendste Autorin des Landes, Assia Djebar, die Schönheit ihrer Heimat besingt. Reiner Wandler

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