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Flucht ins Paradies

Politischer Druck in der Heimat und die Aussicht auf Millionenverträge treiben immer mehr kubanische Baseballstars in die USA  ■ Von Knut Henkel

Im Parque Central, einem kleinen Platz im Herzen Havannas, geht es hoch her. Die selbsternannten Fachleute, die jeden Tag ihren liebsten Sport Baseball diskutieren, kennen derzeit nur ein Thema: die spektakuläre Flucht einiger der bekanntesten Baseballspieler Kubas – nebst dem ehemaligen Wurftrainer der Nationalmannschaft, Orlando Chinea. Am vergangenen Freitag waren sie in Puerto Padre, einem kleinen Hafen in der Provinz Holguin, in See gestochen und wurden 17 Stunden später in internationalen Gewässern von Fischern geborgen und auf das zu den Bahamas gehörende Ragged Island gebracht.

Heftig wird darüber diskutiert, ob die Spieler ähnlich wie Orlando Hernández, der erst im Dezember Kuba verließ (siehe taz vom 21.März), ein Visum eines anderen Staates erhalten oder, wie es ein Abkommen zwischen Nassau und Havanna vorsieht, zurückgeschickt werden. Über die Motive der Flucht wird hingegen nicht gerätselt, denn „hier in Kuba hätten sie wohl nie mehr ein Baseballstadion als Aktive betreten, geschweige denn in der Nationalmannschaft spielen können“, ist sich Armando, ein 33jähriger Lehrer, sicher.

Die Spieler Angel López, Jorge Luis Toca, Jorge Diaz Olano und Michel Jova waren nebst ihrem Trainer in Ungnade gefallen. Begonnen hatte alles mit Rolando Arrojo, dem begnadeten Pitcher des mehrfachen kubanischen Meisters Villa Clara. Arrojo, mittlerweile bei Tampa Bay in der US- Major League unter Vertrag, hatte sich 1996 bei der Olympiade in Atlanta vom Nationalteam abgesetzt. Ein knappes Jahr später äußerte Jorge Luis Toca den Wunsch, in den USA zu spielen, und wurde postwendend auf Lebenszeit vom Spielbetrieb ausgeschlossen. Angel López wurde zum „Vaterlandsverräter“ erklärt und aus der Equipe verbannt, nachdem er mit seinem alten Kumpel Arrojo telefoniert hatte. Besser erging es Diaz Olani, der sich des gleichen Vergehens wie López schuldig gemacht hatte. Er wurde zu einer vergleichsweise milden Sperre von zwei Jahren verdonnert, tauchte allerdings in der laufenden Saison zur Überraschung der Fans in den Stadien auf.

Anders liegt der Fall beim erst 17jährigen Michel Jova, einem hoffnungsvollen Wurftalent. Jova hat sich bisher nichts zuschulden kommen lassen, ist aber der Sohn des ehemaligen Trainers von Villa Clara, der im letzten Jahr zusammen mit Orlando Chinea suspendiert wurde. Beiden wurde vorgeworfen, die Telefonate ihrer Schützlinge mit Arrojo toleriert und deren Abwanderung gefördert zu haben, was bei näherer Betrachtung zumindest im Falle von Chinea nicht so einfach von der Hand zu weisen ist. Chinea, so etwas wie der persönliche Wurftrainer von Arrojo, wird wohl schnell bei Tampa Bay einen Job finden.

Vermitteln könnte auch das Joe Cuba, der sich seit einiger Zeit als kubanischer Spielervermittler betätigt und neben Arrojo auch Osvaldo Fernandez, einen weiteren Pitcher, der letzte Saison bei den San Francisco Giants spielte, und Orlando Hernandez berät. Cuba war denn auch einer der ersten, die auf Ragged Island eintrafen, um sich um die Spieler zu kümmern.

Verantwortlich für die Fluchtversuche machen die Fans allerdings nicht die Vermittler, sondern das Sportministerium, das dem schleichenden Niedergang der Liga bis vor kurzem tatenlos zusah. Heute gibt es nur noch einige wenige Stars, die durch Prämien halbwegs anständig über die Runden kommen. Daß mehr getan werden muß, um das Niveau zu halten, haben die Verantwortlichen im Sportministerium nach einigen Niederlagen der Nationalmannschaft begriffen. Nun wird eifrig diskutiert, wie sich die Liga reformieren läßt und wo zusätzliche Mittel aufzutreiben sind. Doch erst wenn die Verantwortlichen darauf verzichten, Spieler mit Spielverboten aus politischen Gründen zu belegen, würde der massenhaften Abwanderung zumindest kein weiterer Vorschub geleistet.

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