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Traumland der linken Intellektuellen

■ Vor 30 Jahren initiierte Chris Marker mit "Fern von Vietnam" einen nachdenklichen Agitprop-Film, der zum Engagement anstiften sollte. Godard, Resnais und andere Regisseure fragten nach den Handlungsmög

1967 war Vietnam das Symbol für eine neue Weltsicht: Jenseits der Blöcke schienen sich in der Dritten Welt nationale, antiimperialistische Bewegungen zu bilden. Im Westen bot dieser Krieg ein Identifikationsmuster: David gegen Goliath, Arm gegen Reich, Bauernarmee gegen Bomber. Vietnam wurde zum Traumland der linken Intellektuellen.

Das ist Geschichte. Vietnam – eine realsozialistische Diktatur, regiert von einer Nomenklatura – führte nach 1975 weitere Kriege mit Kambodscha und China. So wurde Vietnam ein zweites Mal zum Symbol: für das Falsche, Trügerische, das die West-Linke in den 60ern tat.

Dies ist die Folie, auf der wir heute „Fern von Vietnam“ sehen: ein Omnibusfilm mit elf Episoden, 1966 gedreht von Resnais, Godard, Lelouch, Varda, Ivens und anderen, montiert von Chris Marker. „Fern von Vietnam“ ist eine Art Agitprop-Film – er will das Publikum zum Engagement anstiften. Doch „Fern von Vietnam“ ist auch essayistisch, fragmentarisch; kein Film, der alles weiß. Unser Blick ist klüger als der Film, er kennt den weiteren Fortgang. Ist „Fern von Vietnam“ nur noch das Dokument eines Irrtums? Oder mehr?

Entweder, so heißt es am Ende des Films, erkennt der Westen, daß er sich vollständig umwandeln muß, oder er wird einen weltweiten Vernichtungskrieg gegen die Armen führen müssen. Vietnam ist ein Menetekel – in ihm erkennt der Westen seine Fratze. Dieses mit apokalyptischer Rhetorik aufgeladene Szanario mag uns heute verblasen erscheinen. Interessant ist die Frage, die hinter dieser etwas schlichten Antwort steht: die nach unserem Verhältnis zu Vietnam, das ein durchaus brüchiges, schwieriges ist – mit einer Fahne, einem Bekenntnis, einem symbolischen Schulterschluß ist da nichts getan. „Es ist schwierig“, sagt Godard in einem verstörenden Monolog, „von Bomben zu reden, wenn sie einem nicht auf den Kopf fallen.“ Und schon der Titel suggeriert Differenz, Distanz, Nicht- Identisches: Fern von Vietnam.

Am Anfang sehen wir einen US-Flugzeugträger: dynamische Bilder, sie stammen von Claude Lelouch. Jets werden mit Bomben und Raketen bewaffnet. Diese Bilder verraten eine gewisse Faszination. Zum einen zeigen sie so etwas wie Schönheit, die aus Perfektion entsteht, zum anderen den Krieg als Arbeitsvorgang. Dieser Aspekt rückt durch die folgenden Bilder, die Vietcong-Soldaten zeigen, die sich in einem Reisfeld tarnen, in den Vordergrund. Der Krieg erscheint als Ausdruck von zwei Produktionsformen.

Das schmerzhafte Zentrum des Films stammt von Alain Resnais: Wir sehen den fiktiven Monolog von Claude Ridder, Pariser Schriftsteller. Er redet, assoziiert, will Partei ergreifen, zögert und erörtert quälend die eigenen Privilegien. „Ich beurteile die anderen im Namen eines Glücksfalls“, sagt er. Doch das Drama diese Monologs ist nicht mehr nur das des zweifelnden westlichen Intellektuellen. „Dies ist der erste Krieg in der Geschichte, den jedermann zur gleichen Zeit sehen kann.“ Und: „Aber er passiert in einem Möbelstück.“ So weist dieser Monolog auf das Neue, Mediale: der erste TV-Krieg. Und diese Medialisierung korrumpiert den Blick.

Die Bilder schieben sich vor die Wirklichkeit, die dahinter kaum noch zu entziffern ist. Ridder verzweifelt an diesem Punkt, an dem Aufklärung mittels technischer Massenmedien umschlägt in Gegenaufklärung. So befragt sich in dieser Passage der Film auch selbst, und er rechtfertigt seinen Titel: kaum Kriegsbilder, fern von Vietnam. Es geht um uns, die Konsumenten der Bilder. Mit einem naiven Verständnis von Sender und Empfänger, von Botschaft und Wirkung, ist dies nicht mehr darstellbar. So überschreitet „Fern von Vietnam“ den Agitprop – nicht weil das Ziel fraglich ist, sondern weil die Situation mehr Komplexität erfordert.

Es gibt keinen Ausweg, zumindest keinen eindeutigen: weder im Abwenden noch in der Identifikation: Ridder würde gern revolutionär sein. Aber wie geht das, wenn sich Arbeiter und Direktoren wie „Assoziierte benehmen, assoziiert auf verschiedenen Ebenen desselben Wohlstandsunternehmens“? Diese Situation wird nicht denunziert: Ridder ist niemand, der bekehrt werden muß, der unter irgendeinem falschen Bewußtsein leidet, das zu kurieren wäre – er bringt einfach die Widersprüchlichkeit der linken bürgerlichen Intelligenz auf den polemischen und depressiven Punkt.

Heute hört man manchmal den Stoßseufzer, daß damals zumindest noch alles klar gewesen wäre: hier der Versuch, mit Bombenterror ein marodes Regime im Sattel zu halten – dort ein nationaler Befreiungskampf, dessen Legitimation heute nur noch ein paar gekränkte US-Falken bestreiten. In den 90ern hingegen, mit Blick auf Bosnien und Ruanda, sei gar nicht mehr klar, wer warum kämpft. Dazu findet sich in Resnais' Monolog eine interessante Beobachtung: Auch Ridder sehnt sich angesichts der US-Bomben auf Vietnam nach dem klaren Feindbild von gestern, den deutschen Faschisten. „Tapfere Amerikaner“, sagt Ridder, „ich verdanke ihnen mein Leben, ich werde sie immer lieben. Nur daß die Amerikaner die Deutschen der Vietnamesen sind. Alles wird komplizierter.“

Alles wird komplizierter. Und der Krieg von vorgestern erscheint retrospektiv immer einfacher, der aktuelle stets zu kompliziert, überfordernd in seinen Loyalitätsansprüchen. Und nie führt ein Weg zurück in frühere Eindeutigkeit.

Unser Blick ist klüger als der Film, weil er mehr weiß. Aber er ist natürlich nur dann klug, wenn er um diesen Vorsprung weiß und ihn relativiert. Dann kann man aus „Fern vor Vietnam“ so etwas wie ein Modell gewinnen. Er zeigt, daß ein Engagement möglich ist, das die Widersprüche nicht nur nicht verschweigt, sondern zuspitzt. Ein Engagement, das nicht dumm macht. Stefan Reinecke

„Fern von Vietnam“ läuft heute abend um 23.20 Uhr auf 3sat

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