Analyse: Watergate in Erfurt
■ Computerdiebstahl löst Krise der Großen Koalition in Thüringen aus
Aus dem Thüringer Wald dringen für gewöhnlich nur wenige Nachrichten, die den Rest der Republik in Aufregung versetzen. Und jetzt sind es gleich Schlagzeilen, die manche sogar an „Watergate“ erinnern. Nun mag man einen Vergleich der Turbulenzen in der Großen Koalition in Thüringen mit dem Skandal in den USA Anfang der 70er Jahre für absurd halten. Eines haben die beiden Ereignisse aber doch gemeinsam: Am Anfang stand ein kleiner Diebstahl – und am Ende wurde daraus eine Regierungskrise. 1972 war es der Einbruch in das Washingtoner Hotel „Watergate“ (ein Wahlkampfbüro der Demokraten), der 1974 zum Rücktritt von US-Präsident Nixon führte. Und jetzt in Erfurt war es ein Einbruch in das SPD-geführte Innenministerium, der die Große Koalition in eine Krise gestürzt hat.
Beim Umzug der Thüringer Innenbehörde im November 1997 sind zwei Computer mit hochsensiblen Daten gestohlen worden. Darunter waren Angaben zu Sicherheitsüberprüfungen von Mitarbeitern der Landesverwaltung, Informationen über eine Abhörmaßnahme gegen eine extremistische Gruppe sowie Gedächtnisprotokolle der Parlamentarischen Kontrollkommission. Innenminister Richard Dewes (SPD) wurde erst Ende Januar 1998, also drei Monate später, von seinen Mitarbeitern über den Diebstahl informiert. Diese Schlamperei nahm Dewes nicht etwa so ernst, daß er kleinlaut einen Fehler einräumte, im Gegenteil: Er ging in die Offensive. Der Diebstahl, sagte der Minister im Brustton der Überzeugung, sei politisch motiviert. Die Täter wollten offenbar die Regierung und insbesondere ihn als Innenminister schädigen. Die darauffolgende Aufregung nannte er „abgestimmte gezielte politische Attacken“ der CDU. Am Mittwoch drohte er gar mit dem Bruch der Großen Koalition.
Diese Koalitionskrise hat zwei Hintergründe. Zum einen steht Innenminister Richard Dewes, der früher Staatssekretär im Saarländer Kabinett von Oskar Lafontaine war, seit über einem Jahr stark in der Kritik. Politiker, Gerichte und interne Polizeiermittler beschäftigen sich mit zahlreichen Pannen und Ungereimtheiten der Thüringer Polizei: Mafiamord, Lecks in der Polizeispitze, verschwundene Akten mit Zeugenaussagen und eine undurchsichtige Informationspolitik des Ministers. Die Innenpolitiker der CDU tun ein übriges: Mit gezielten Indiskretionen über Dewes versuchen sie, den einstigen Hoffnungsträger der Thüringer Sozialdemokraten zu demontieren. Zum anderen fühlen sich weder CDU noch SPD in der Großen Koalition besonders wohl. Sie führen sich ganz gern gegenseitig vor. Am Ende haben sich beide Parteien aber immer wieder vertragen; diesmal wird es nicht anders sein. Als möglicher Koalitionspartner steht in Thüringen nur noch die PDS zur Verfügung. Jens König
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