■ Ausgeweitet, eingeengt und mehrfach umgewertet: Dem Begriff des Bürgers ergeht es ähnlich wie dem der Arbeit
: „Arbeit ist des Bürgers Zierde ...“

„...Segen ist der Mühe Preis.“ So heißt es in Friedrich Schillers „Lied von der Glocke“, das ja nicht bloß ein Läutwerk besingt, sondern eine Allegorie auf das Ganze des menschlichen Lebens ist. In dieser Traditionslinie betrachtet, liegt das Kompositum „Bürgerarbeit“ nicht nur nahe, sondern ist fast schon ein Pleonasmus, so wie der „weiße Schimmel“. Denn im modernen Begriff des Bürgers ist – anders als im Falle des antiken civis, der notorisch andere für sich arbeiten ließ – die Arbeit schon enthalten: Durch sie wird der Mensch zum Bürger, und im Sprichwort, daß Arbeit adle, geht es also nicht bloß um die Disziplinierung des latent arbeitsscheuen Menschengeschlechts, sondern auch um die Idee der Emanzipation. Auf dieser Basis entfaltete sich die bürgerliche Gesellschaft als eine Arbeitsgesellschaft. Für jenen größeren Teil der Menschen, der nicht allein von der Verzinsung seines Besitzes leben konnte, wurden soziale Stellung und persönliches Wohlergehen durch Arbeit – zunächst nur die selbständige, später auch die abhängige – bestimmt. Denn, so die Fortsetzung des zitierten Verses: „Ehrt den König seine Würde, / Ehret uns der Hände Fleiß.“

Und nun das: Der Arbeitsgesellschaft, heißt es, geht die Arbeit aus. In früheren Zeiten, in denen Arbeit vor allem als Mühsal empfunden wurde, hätte dieser Umstand wohl wenig Verdruß bereitet. Für die Heutigen aber ist Arbeitslosigkeit eine Katastrophe: wirtschaftlich, weil sie ihnen das Einkommen nimmt, sozial, weil unter ihrem Druck die gesellschaftliche Stellung erodiert, und psychisch, weil sie dem Selbstwertgefühl den Boden entzieht.

Nun ist es freilich nicht so, daß der Arbeitsgesellschaft tatsächlich die Arbeit ausginge. Was ihr knapp wird, ist allenfalls die Erwerbsarbeit, also jene Sorte von Tätigkeiten, die sich mit Aussicht auf Erfolg vermarkten läßt. Es war ja schon immer so, daß vieles, was Mühe machte, unentlohnt blieb: der riesige Bereich der häuslichen Arbeit, die uneigennützige, am Gemeinwohl orientierte Arbeit und schließlich jene Arbeit, die die Menschen auf sich selbst verwenden, um sich, im humanistischen Sinne, zu bilden.

Für die letzten hundert Jahre – und zumal für die expansive Phase des Sozialstaats in den 60er und 70er Jahren – läßt sich als genereller Trend beobachten, daß Teile dieser unentlohnten Arbeit, etwa die Pflegedienste an Kindern, Alten oder Kranken, professionalisiert und in Lohnarbeit überführt wurden, und zwar vor allem dadurch, daß man sie zu Aufgaben der öffentlichen Einrichtungen machte. Die Einengung des Begriffs der Arbeit auf den Erwerb geht also einher mit der Ausweitung der Erwerbsarbeit selbst.

Dem Begriff des Bürgers ergeht es derweilen ganz ähnlich. Wie der der Arbeit, so wird auch er umgewertet, ausgeweitet eingeengt und wieder umgewertet. Der Bürger ist ja von Anfang an ein schwer bestimmbares, ein zwiespältiges Wesen. Einerseits ist er als Mitglied eines Standes bzw. einer Klasse ein eigennütziger, an seinem privaten Vorteil orientierter Partikularist, ein auf die Mehrung seines Wohlstands und auf den eigenen Vorteil bedachter Privatmensch. Das ist aber nicht alles: „Heilge Ordnung, segensreiche,/ Himmelstochter, die das Gleiche/Frei und leicht und freudig bindet, / Die der Städte Bau begründet [...] / Und das teuerste der Bande / Wob, den Trieb zum Vaterlande!“

Sieh da, das Vaterland – die bürgerliche Existenz ist also noch auf etwas anderes und Größeres bezogen, nämlich auf den Staat und das Gemeinwohl. Als Untertan feudaler Herrschaft hat der Bürger, durch Schutz- und Freiheitsrechte, passiven, als Bürger der Republik nimmt er aktiven Anteil an der politischen Ordnung. Es tritt auf: der Staatsbürger. Zunächst noch ein durch Geschlecht, Besitz und Abstammung privilegiertes Wesen, wird er im Verlauf der Zeit zusehends universalisiert, bis sich in den ersten beiden Jahrzehnten unseres Jahrhunderts – zumindest in den westlichen Ländern – das allgemeine und gleiche Wahlrecht durchsetzt und anzeigt, daß alle, die den Regeln einer staatlichen Ordnung unterworfen sind, auch an deren Gestaltung mitwirken sollen.

Das Französische hat für diese beiden Seiten der bürgerlichen Existenz zwei Worte: Der Bürger scheidet sich hier in den Bourgeois und den Citoyen. Im Citoyen schwingt noch etwas vom Stolz darauf mit, in den bürgerlichen Revolutionen den dritten Stand zum universellen Stand erhoben zu haben. Dem deutschen Bürger geht diese Emphase der Freiheitlichkeit ab – wohl weil man 1848 politisch gescheitert war und sich forthin mit der Verwirklichung seiner selbst als einer Klasse von Privatleuten beschied. Die, die sich selbst bürgerlich nannten, meinten es elitär; und die, die nur die je anderen für bürgerlich hielten, benutzten den Begriff als Feindbestimmung oder Schmähwort. Erst in der Bundesrepublik und mit der Öffnung gegenüber der politischen Kultur des Westens verbesserte sich allmählich des Bürgerlichen Leumund.

Ohne diesen Reputationsgewinn wäre kaum vorstellbar, daß „Bürgerarbeit“ als eine attraktive Losung erachtet wird. Wichtiger aber für die Strahlkraft des Schlagworts dürfte sein, daß es sich um eine wahre Assoziationsmaschine handelt. Darin schwingt etwas vom kommunitarischen Gemeinschaftsdenken und vom Pragmatismus der amerikanischen Civil Society mit, etwas von der Solidaritätsforderung der Arbeiterbewegung und vom Subsidiaritätsprinzip der katholischen Soziallehre. Die Liberalen mag die Betonung des individuellen Engagements darüber hinwegtrösten, daß die Produkte der Bürgerarbeit nicht marktfähig sind. Den Weberianern schließlich wird besonders der „Ausschuß für Bürgerarbeit“ gefallen, der dafür Sorge tragen wird, daß das zivile Engagement nicht auf Kosten der bürokratischen Rationalität geht. Die Bürgerarbeit hält, als Losung, für jedermann den rechten Sinn bereit. Ob sie, als Programm, auch die rechte Arbeit schafft, ist eine ganz andere Frage. Dietmar Schirmer