: Vier Schleudertraumata und ein Knöchelbruch Von Ralf Sotscheck
Zuerst war es die Armee, inzwischen ist ein irischer Nationalsport daraus geworden: Schadensersatzklagen. Von den 12.000 Soldaten haben 11.000 geklagt, weil ihr Gehör bei Schießübungen gelitten habe. Hinzu kommen Klagen von rund 50.000 Ex-Soldaten. Manche von ihnen haben sich beim Einsatz für die Vereinten Nationen im Libanon einen Sonnenbrand oder beim privaten Grillabend eine Lebensmittelvergiftung geholt. Die Kosten für den Staat werden sich auf knapp vier Milliarden Mark belaufen. Und auch die uniformierten Musikanten wollen sich ein Stück vom Entschädigungskuchen sichern: Bis jetzt sind vierzehn Mitglieder der Armeekapelle vor Gericht gezogen, weil sie es wegen der lauten Blasmusik an den Ohren haben.
Was den Bürgern in Uniform recht ist, ist den Zivilisten billig. Das funktioniert allerdings nicht immer. Der 37jährige William Joy wollte eine Million Pfund von einem Kneipenbesitzer, weil er im Pub vom Barhocker gefallen war und sich verletzt hatte. Vor Gericht kam heraus, daß Joy bereits 13 Wodka und mehr als 2 Liter Bier intus hatte, als er den Pub betrat. Da es aber keine Anzeichen gegeben habe, daß er gleich ins Koma fallen würde, habe der Wirt nicht verantwortungslos gehandelt, als er Joy ein Bier servierte, urteilte der Richter und wies die Klage ab.
Die 33jährige Donna Keating hatte ebenfalls kein Glück. Sie war nach einer Zechtour angeblich in ein Schlagloch gefallen und hatte sich den Knöchel verletzt. Der Richter wunderte sich, daß sie erst anderthalb Stunden nach dem Unfall einen Krankenwagen gerufen habe. Ob sie so lange in dem Loch gelegen habe? Außerdem scheine sie ein furchtbarer Unglücksrabe zu sein, denn ihr scheine so etwas ständig zu widerfahren, wie die Gerichtsakten belegten. Möglicherweise ist Pech ansteckend: Sämtliche Mitglieder ihrer Familie sind irgendwann einmal in ein Schlagloch gefallen und haben geklagt. Und von den dreizehn Spielern eines Fußballteams, das Keating betreut, sind zehn verunglückt und vor Gericht gezogen.
Da klang die Geschichte der ehemaligen Justizministerin schon glaubwürdiger. Vielleicht war ja auch das Schlagloch größer, in das Maire Geoghegan-Quinn auf dem Nachhauseweg vom Weihnachtsfest ihrer Partei gestürzt war. Wer die Weihnachtsfeiern der Soldaten des Schicksals – so heißt die Partei Fianna Fáil auf deutsch – kennt, wird nicht sonderlich überrascht sein. Die Stadtverwaltung mußte jedenfalls blechen. Nun hat ein landesweites Wettrennen eingesetzt zwischen den Verwaltungen, die die Schlaglöcher zu füllen versuchen, und Menschen mit Kameras, die vorher noch ein Foto als Beweismittel für das Gericht schießen wollen.
In Cork hat man eine neue Variante erfunden, die sich in vielen Fällen bewährt hat: Vier Leute nehmen sich ein Taxi, während ein Freund an der nächsten Ecke in seinem Privatwagen lauert. Er fährt genau in dem Augenblick los, in dem die Droschke vorbeikommt, so daß der Taxifahrer scharf bremsen muß: vier Schleudertraumata.
Was Charlie Parker für den Jazz war, so schrieb die Journalistin Anne-Marie Hourihane, seien die Iren für das Justizsystem: Sie improvisierten so lange, bis etwas völlig Neues und Wunderbares entstehe.
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