Vorgezogene Neuwahlen nicht auszuschließen

■ Der russische Präsident kann die Duma auflösen, wenn sie dreimal seinen Kandidaten ablehnt

„Es heißt immer nur ich, ich, ich. Obwohl die Verfassung bei uns mehr Instanzen kennt, als nur ein einziges Ich.“ So klagte Gennadij Selesnjow, Sprecher des russischen Parlaments, der Duma, letzte Woche über Präsident Boris Jelzins politischen Stil. Selesnjows Ton verriet dabei, daß er diesen für unabänderlich hält.

Denn die Duma sitzt zwar der russischen Verfassung zufolge am Geldhahn der Regierung, aber der Präsident kann sie aus einer Reihe von Anlässen leicht auflösen und Neuwahlen anordnen. Beispielsweise wenn sich die Duma dreimal hintereinander weigert, einen von ihm vorgeschlagenen Kandidaten für das Ministerpräsidentenamt zu akzeptieren, wie zum Beispiel jetzt den Interims-Premier Sergej Kirijenko.

Eine Auflösung des Parlaments käme dem Präsidenten heute gar nicht so ungelegen. Reichlich dicht folgen nämlich die regulär Ende 1999 fälligen Duma-Wahlen und die Präsidentenwahlen im Jahre 2000 aufeinander. Jelzins Maximalziel besteht offensichtlich darin, für eine dritte Amtsperiode anzutreten. Falls dies aber nicht möglich sein sollte, will er unter den möglichen Nachfolgern jenen finden, der am besten seinen eigenen Vorstellungen und den Interessen seines Familien- und Beraterclans entspricht.

Die Duma-Wahlen aber werden der russischen Politik mit Sicherheit eine Reihe frischer Gesichter bringen. Falls sie vorverlegt würden, gewänne Jelzin Zeit, um sich einen bisher noch unbekannten Nachfolgekandidaten auszugucken.

Bereitschaft, Kirijenko in der Duma zu bestätigen, zeigte sich bisher nur die Partei des rechtsradikalen Bauchredners der Geheimdienste, Wladimir Schirinowski. In letzter Zeit stimmte er stets für die Projekte der Machthaber. Eine hart ablehnende Position gegenüber Kirijenko könnte sich Grigori Jawlinskis Fraktion Jabloko leisten. Sie bildet heute die einzige prinzipielle Opposition im russischen Parlament und orientiert sich eher an langfristigen Perspektiven.

Die Mehrheit im Parlament stellt die Kommunistische Partei. Ihre Wählerschaft rekrutiert sich unveränderlich aus der schnell dahinschwindenden Altersgruppe der über 50jährigen. Schon heute hat diese Partei bei einer Wahl mehr zu verlieren als zu gewinnen. „Beim dritten Durchgang der Premierwahl“, spottete der Vertreter eines Moskauer Think-Tanks: „würden diese Leute auch für einen kahlköpfigen Teufel stimmen.“ Barbara Kerneck