: Ein Kuckucksei für die algerischen Sozialisten
■ Wegen Streits um einen Text wird die sozialistische Oppositionszeitung wieder eingestellt
Madrid (taz) – Die Stimmung bei der größten algerischen Oppositionspartei, der Front der Sozialistischen Kräfte (FFS), ist gedrückt. Kaum hatte die Partei des im Schweizer Exil lebenden Veteranen des Unabhängigkeitskrieges, Hocine Ait Ahmed, vom Innenministerium die Lizenz für eine eigene Wochenzeitung erhalten, da wurde sie vom Parteivorstand auch schon wieder eingestellt. Die bereits ausgelieferten Exemplare der ersten Nummer von Libre Algerie (Freies Algerien) werden zurückgezogen.
Das ansonsten komplett auf französisch abgefaßte Blatt enthält eine arabischsprachige Doppelseite. Unter der Überschrift „Bernard Henri-Levy erklärt die gesamte Menschheit für gottlos“ setzte sich der parteilose Journalist Ahmad al-Akch mit einer Artikelserie des französischen Intellektuellen auseinander. In der in mehreren europäischen Ländern erschienen Abhandlung beschreibt Henri-Levy seinen Besuch an mehreren Schauplätzen von Massakern während des Fastenmonats Ramadan. Er kommt zum Schluß, daß die algerischen Streitkräfte keinerlei Schuld treffe, und unterstützt ausdrücklich die ablehnende Haltung der Generäle gegenüber einer internationalen Untersuchung.
„Bernard Henri-Levy ist Zionist“, greift al-Akch den Franzosen an. Als Sohn einer jüdischen Familie hasse er alles, was mit dem Islam zu tun habe, und unterstütze deshalb die Herrschenden in Algerien, die sich die Ausrottung des Islamismus auf die Fahne geschrieben haben. „Eine Beleidigung der Linie der FFS“, tobt Ikhlof Bouaich, Sprecher des FFS-Parteivorstandes.
Zwar sparten die Sozialisten, die für eine Dialoglösung des algerischen Konfliktes eintreten, seit Erscheinen der Artikelserie von Bernard Henri-Levy nicht mit Kritik an dessen Machtergebenheit, aber al-Akchs Artikel geht ihnen doch zuweit: „Wir Sozialisten sind gegen jedwede Diskriminierung. Das gilt selbstverständlich auch für Menschen jüdischer Abstammung.“
Der Patzer sei passiert, weil man nach dem Erhalt der Lizenz so schnell wie möglich auf dem Markt sein wollte. Keiner in der Führung der hauptsächlich aus Angehörigen der Berberminderheit bestehenden Partei habe sich die Mühe gemacht, den fraglichen Artikel zu lesen. „Viele bei uns beherrschen die arabische Sprache nur schlecht“, entschuldigt sich Bouaich. Wann Libre Algerie wieder erscheinen wird, weiß der FFS- Sprecher nicht zu sagen. Reiner Wandler
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