: Ein „Unfall“ soll den BVB retten
Unter Protest verliert Borussia Dortmund in der Champions League bei Real Madrid mit 0:2 und hofft auf Uefa-Hilfe wegen des gefallenen Tores von Bernabeu ■ Aus Madrid Reiner Wandler
Seit der WM 1982 trotzten die beiden Aluminiumrohre im Rasen des Estadio Santiago Bernabeu Wind und Wetter. Wenn nicht gerade ein Ball zwischen ihnen durchflog, beachtete sie kaum einer. Beim Halbfinale der Champions League Real Madrid gegen Borussia Dortmund (2:0) sollte sich das schlagartig ändern. Das Tor als solches wurde dank der Madrider Fans vom radikalen Ultra Sur zum Star des Abends.
Diese waren vor Spielbeginn die Absperrzäune hochgeklettert, um von dort aus ihren auflaufenden Idolen zuzujubeln. Der Drahtverhau knickte ab und riß die an ihm befestigten Abspannungsseile des Netzes mit sich. Das Torgestell brach genau auf Rasenhöhe durch. Ersatz mußte her. Doch den gab es nur auf dem drei Kilometer entfernten Trainingsplatz von Real. 75 Minuten nach dem offiziellen Spielbeginn erklang dann endlich der Anpfiff. Die Dortmunder liefen nur unter Protest auf. Heute wird die Uefa entscheiden, ob sie dem Antrag entspricht, das Spiel zu wiederholen oder gar mit 3:0 für Dortmund zu werten.
Schuld haben ausgerechnet die Fans, von denen sich der Klubvorstand trotz heftiger Presseschelte nie distanziert hat. Selbst dann nicht, als beim Spiel in Leverkusen mehrere Dutzend Ultra Sur verhaftet wurden, weil sie mit Hitlergruß durch die Gegend zogen. Ihr Chef, José Luis Ochaita, hat zwar seit Jahren in Spanien polizeiliches Stadionverbot. Doch sein Auto auf dem Präsidiumsparkplatz zeigt, was der Clubvorstand davon hält.
Was bei jedem Zweitligisten zu Spielabbruch und Punktverlust geführt hätte, geht bei Real Madrid möglicherweise durch. Keiner hatte am Mittwoch den Mut, die 90.000 Zuschauer nach Hause zu schicken. Einer Geldstrafe oder Platzsperre dürfte Real Madrid jedoch nicht entgehen. „Die Verzögerung hat meine Mannschaft stark benachteiligt“, beschwerte sich der Dortmunder Trainer Nevio Scala nach dem 0:2 verlorenen Match. „Die Spanier gehen erst um zehn oder elf Uhr abends aus dem Haus. Die Deutschen liegen um diese Zeit schon längst im Bett.“ Trotzdem habe er zu keinem Zeitpunkt daran gedacht, seine Mannschaft ins Hotel zu schicken: „Wir sind ein sportlicher Klub, deshalb liefen wir auf.“
Real-Trainer Jupp Heynckes suchte lieber nicht nach Verantwortlichen für das kaputte Tor. Er redete von einem „Unfall“. Ob die eigenen Fans dazu beigetragen hätten? „Das weiß ich nicht, ich war in der Kabine.“ Der Vorfall dürfte beim Madrider Coach unangenehme Erinnerungen auslösen, schließlich stand er schon einmal vor eingestürzten Pfosten. Am 3. April 1971, als er noch Spieler bei Borussia Mönchengladbach war, krachte gegen Werder Bremen das Tor zusammen. Wieder aufgerichtet, rissen es die Fans erneut ein. In der Hoffnung, bei einer Spielwiederholung besser abzuschneiden. Der DFB gab die Punkte jedoch an die Bremer.
„Beide Mannschaften sind durch die Spielverzögerung gleich benachteiligt worden“, beschwichtigte Heynckes. „Vielleicht wir als Heimmannschaft sogar noch mehr.“ Schließlich habe die Stimmung im Publikum unter dem langen Warten deutlich gelitten. Wie er die Zeit mit seinen Spielern überbrückt habe? „Ich bin in die Kabine und habe ihnen gesagt, sie sollen sich beruhigen und entspannen. Das Ganze würde mindestens eine Dreiviertelstunde dauern.“ Heynckes wußte, daß es kein Ersatztor im Stadion gab. Nicht so sein Kollege Scala. Er mußte sich auf die Auskünfte des Schiedsrichters und dieser wiederum auf die Sprecher von Real Madrid verlassen: „Es würde nur zehn Minuten dauern, das Tor zu reparieren, teilte man uns anfänglich mit.“ Danach kam die große Ungewißheit – der Dortmunder Konzentration nicht gerade zuträglich.
Dennoch boten die Schwarz- Gelben zunächst guten Fußball, ohne allerdings den richtigen Dreh zu finden, die Madrider Abwehr zu überlisten. Besser machte es Real. Das Tor von Morientes in der 25. Minute war die logische Folge. In der zweiten Halbzeit stellte Scala die Taktik seiner Mannschaft um. Anstatt beim hohen, von der jungen Madrider Mannschaft vorgegebenen Tempo mithalten zu wollen, versuchten es die Dortmunder mit Ballkontrolle und ruhigem Aufbau. Ausgerechnet als dies Wirkung zeigte, machte ein schneller Konter der Madrider und das anschließende Tor von Karembeu (67.) alle Träume zunichte.
Beide Clubs müssen unbedingt in der Champions League bestehen, wollen sie die Saison nicht endgültig abschreiben. Nevio Scala gibt sich trotz der Niederlage optimistisch, selbst wenn der Dortmunder Protest wegen des gefallenen Torgehäuses keinen Erfolg haben sollte: „Wir sind stark genug, um das Ergebnis zu Hause noch umzudrehen.“ Heynckes wähnt sich derweil bereits im Finale von Amsterdam: „Wenn wir nur ein Tor in Dortmund schießen, bräuchte Borussia vier.“
Borussia Dortmund: Klos – Binz, Cesar, Kree – Reuter, Freund, But, Reinhardt – Ricken (82. Zorc) – Herrlich (48. Decheiver), Chapuisat
Zuschauer: 90.000; Tore: 1:0 Morientes (25.), 2:0 Karembeu (67.)
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