piwik no script img

Pfadfinden mit Shakespeare

■ RapperInnen-Workshop wirft heute im Lagerhaus 'ne Party

Keine Tugend dieser Jugend ist das Spiel mit der Sprache, mosern Mahner müd dahin in der Medienmeinungssuppe – alt und ahnungslos, denn der lose-lockre Klang des Gesangs junger HipHop-Leute heute schellt in Muscheln wacher Ohren fast so schimmernd-schön wie Perlen.

Aufhören? Gut, sehen wir ein, Bastian Böttcher kann es viel besser. Der Master of Ceremonies der (auch überregional) beliebten, geschätzten Bremer HipHop-Bande „Zentrifugal“überzieht seine Texte mit einem überaus engmaschigen Netz von Klanganalogien, die wir hier in vager Erinnerung an einstige Deutschstundentorturen wagemutig aber ohne Gewähr Alliteration, Assonanz, Anapher und Stabreim nennen. Das, was früher mal der Endreim war, wird tief in jede Zeile hineingetrieben und schlägt von da aus Querverbindungen über ganze Strophen hinweg. Kein Wort, das sich nicht mit einem anderen verbrüdert. Bei solch ausgefeilten Texten hat es wenig Sinn, sich der Gnade einer heimtückischen Eingebung anzuvertrauen.

So tastet sich Bastian an ein Thema mit der Systematik eines Handwerker heran, notiert Wortfelder und Reimgruppen auf einem Blatt Papier, collagiert sie zu Texten, streicht durch, kringelt Schlüsselwörter ein, schiebt hin und her, ein wenig wie ein Architekt oder Militärstratege. Und wenn ein genialer Einfall mal gerade nicht zum Songthema paßt, dann bringt der erst 23jährige die Selbstüberwindung auf, ihn zurückzustellen. Das Hirn behält sich die letzte Entscheidung vor. Nur manchmal „fließt es aus dem Stift raus wie Tinte“– übrigens eine besonders schöne, da originell-unoriginelle Metapher. Eine reflektierte Arbeitsweise wie die BBs ist lehrbar – zumindest zum Teil. Deshalb ist BB exakt der richtige Mann für den ersten und hoffentlich nicht letzten SpokenWord-Workshop für 14-18jährige BremerInnen im Lagerhaus/KIOTO.

Seit Montag treffen sich dort zehn zum Teil Band-erfahrene, zum Teil in stiller Kammer dichtende Menschen, um sich Anregungen und Vortragsroutine zu holen. Schon am Donnerstag biegen und winden sich Silben raffiniert um den Beat, wippen Knie relaxt und dirigieren Hände mit Teetassenfingerhaltung vertrackten Sinn hervor. Manchmal werden die Texte auf einen Beat von der Maschine gesprochen, manchmal in den klangleeren Raum hinein. Letzteres heißt a cappella, ganz wie bei Palestrina.

Janka rappt ihre Texte hier zum ersten Mal zu Musik und muß prompt feststellen, daß sich die Silben manchmal gegen den vorgegebenen Rhythmus spreizen. „Da kann man was lernen.“Aber nur, wenn man mutig ist. Als Mädchen ist sie hier krass in der Minderheit. Das ist so, weil Mädchen hier und heute tendenziell immer noch mehr Angst haben, sich zu blamieren, meint sie. BB fällt noch ein anderer Grund für ein. Im deutschen HipHop werden vor allem RapperInnen mit Macho-Style nach oben gespült – mit ambivalenten Folgen. Eine Sabrina Setlur etwa stützt mit ihrer stiefelbewehrten Frauenpower weibliches Selbstbewußtsein. Einerseits. Andererseits wird manches rapwillige Mädchen von soviel beeindruckender Coolness vielleicht verschreckt. Richtiggehend dialektisch-vertrackt.

BB selbst sucht nach einem HipHop jenseits von Machismo. Dank seinen verzwirbelten Formen kann er es wagen, die Spiegelungen in einer Autofensterscheibe, das duseligen Gefühl beim Aufwachen und – Schock – eine Blumenwiese zu feiern, robbt sich von simplen Bildern zu höherem Sinn voran. „Einfache Gefühle sind am schwersten zu beschreiben. So ein Sommer ist eine regelrechte Herausforderung.“BB interessiert sich für Literatur, besucht oft Lesungen (als Opfer wie als Täter), liebt Shakespeare und mag keine Lyrik, die ihre Inhalte hinter ominösen Metaphern verklausuliert. „Guter Rap ist so formbewußt wie Sonnett oder Haiku.“Die Silben müssen sich zu einem 4/4-Takt verflüssigen, acht Takte addieren sich zu einer Zeile usw., alles ganz streng. „Formsprengende Lyrik mag durchaus mal ihre historische Bedeutung gehabt haben. Die Lyrik unserer Zeit aber ist der Rap. Denn der 4/4-Takt ist allgegenwärtig.“

Daneben schätzt er ihn aber noch aus einem anderen Grund. BB nennt es schalkhaft „Pfandfindertum“. Pfadfinderei ist zum Beispiel, wenn BB mit dem Wochenendticket der Deutschen Bundesbahn nach Köln fährt, aus dem Zugfenster Graffitis von Bekannten erkennt – „das entspricht den ich-war-auch-da-Runen der Pfadfinder“– und sich abends in einer freundschaftlichen „Battle“an den Kollegen mißt und die fremden Raps mit dem Tape aufnimmt, um von ihnen zu lernen. „Es gibt viel Kooperationen in der Szene, man zitiert sich gegenseitig, macht Remixes, lädt ein zum Gastrappen.“Das Ziel aber ist der eigene, unverwechselbare Stil. bk

heute, ab 19.30h, mit Zentrifugal & Lo Flava

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen