: Bilderrausch und Technobeats
■ Die Rave-Artisten und Art-Raver Bauhouse reisen mit Bild- und Ton-Collagen zur ArtGenda
Früher einmal wirkte die Sportschau wie das dümmere Pendant der Tagesschau. Heutzutage ist die Sportberichterstattung vielleicht noch penetranter geworden, aber immerhin sieht sie besser aus als je zuvor: Der Vorspann von ran ist in seiner Schnelligkeit und Vehemenz doch erstaunlich. So erstaunlich eigentlich, daß man sich fragen könnte, ob der Beruf des Cutters nicht verblüffend zeitgemäß ist und als Äquivalent des DJs zu begreifen wäre. Eine ähnliche Frage haben L'Enfant und Clemens Wit vom Partykollektiv Bauhouse sich auch gestellt. Genauer gesagt: Sie fragten sich, ob es nicht möglich wäre, Bilder wie Töne zu behandeln.
Diese Frage hat ihren Ursprung darin, daß natürlich jede Tanzveranstaltung und jeder Club immer auch irgendeine Form der Beleuchtung benutzt, um ein spezifisches Ambiente herzustellen. Disco setzte dazu in den Siebzigern Strahler, Stroboskope und Mirrorballs ein. Techno übernahm in den Achtzigern all das und fügte dem noch Videomonitore hinzu, auf denen geometrische Muster pulsierten oder virtuelle Kameras durch virtuelle Tunnelsysteme rauschten. Das ist zum einen deswegen langweilig, weil die Gleichsetzung von Computereinsatz und Avantgarde zu simpel ist. Zum anderen blieben Bild und Ton ohne Zusammenhang: Weder konnte das Spezifische der in Techno benutzten Behandlung und Bearbeitung des Tons aufgenommen werden, noch ließen Bild und Ton sich irgendwie synchronisieren.
Genau dieses Problems hat Bauhouse sich angenommen. Zusammen mit den Programmierern von Syncmesh! aus Berlin entwickelten sie eine Software mit erstaunlichen Fähigkeiten: Jetzt war es möglich, Videosequenzen nicht nur durch einen Sampler zu schicken und so verschiedene Schleifen und Loops zu fabrizieren, sondern diese auch noch live einzuspielen. Disc- und Videojockey können so während des Sets einen geschlossenen Raum erzeugen, der – gleichzeitig klaustrophobisch und entgrenzend – alles Gute an Technonächten in eine neue Qualität überführt.
Zugleich nutzt Bauhouse die neu gefundene Bildlichkeit zu dezidierten Statements. Die Sequenzierung und Fragmentierung der Fernsehbilder versteht Bauhouse als Kommentar zum Verhältnis von Realität und Virtualität. Im Gegensatz zu den offen eskapistischen Tunnelfahrten der frühen Neunziger, die immer versuchten, das ganz andere darzustellen und genau darin auch scheiterten, führt Bauhouse das ganz Alltägliche vor und läßt es kollabieren. Die unablässig sich wiederholenden Gesten von Tagesschau-Sprechern und Models nehmen dem alltäglich Gesehenen jede Natürlichkeit und damit weithin seine Legitimation. Vier Sets beziehungsweise Performances wird Bauhouse auf der ArtGENDA 98 in Stockholm präsentieren, danach folgt, wenn alles gut geht, eine weitere Nacht auf Kampnagel. Wenn es auch immer noch gute Gründe für die Tagesschau geben mag – ran ist fortan überflüssig.
Matthias Anton
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen