Die Hölle auf dem Fernsehstrich

■ Der Titelirrsinn hat Methode: Nur so läßt sich heute die Ware TV-Film gut verkaufen

Fernsehredakteuren wird nachgesagt, sie seien einfallslose Bürokraten. Weit gefehlt. Der Berufsstand entwickelt eine ungeahnte Kreativität, wenn es darum geht, etwas zu verhindern. So hatte ein Filmemacher in sein Drehbuch für einen Spielfilm eine freche Randbemerkung über Helmut Kohl geschrieben. Den Redakteur plagten vermutlich schlaflose Nächte, bis er endlich einen Einfall hatte. Vertraulich flüsterte er dem Filmemacher zu: „Ich halte ja auch nichts vom Kanzler, gerade deshalb sollten wir diese Passage rauslassen. Wir wollen doch keine unnötige Reklame für ihn machen.“ Darauf muß man erst mal kommen.

Seit dem Enstehen der Sender, die kommerzielle sind und irrtümlicherweise „private“ genannt werden, wächst der Einfallsreichtum ins Unermeßliche. Filme sind „Formate“ geworden, ihre Geschichten Folie für Werbung, die Titel Markenzeichen für Waren, die in der Konkurrenz zu anderen bestehen sollen, aus Redakteuren Marketingstrategen. Titel geben keine Rätsel mehr auf, wecken keine Neugier, sie sollen zum Kauf, zum Einschalten reizen. So wird aus „Plötzlich in der Dunkelheit“ „Ehebruch – eine teuflische Falle“, aus „Memoiren eines Killers“ „Du stirbst, wie ich es will“, aus „Natalie – kein Weg zurück“ „Natalie – die Hölle nach dem Babystrich“.

Die Marketingstrategen verweisen dabei gern auf Amerika, und deshalb nennt man diesen Vorgang mittlerweile auch Amerikanisierung. Weit gefehlt. Die amerikanische Filmkultur kennt diesen Horrortrip nicht. Was wir als „Die tödliche Falle“ sehen, ist Joseph Loseys schöner Film „Blind Date“. „Boys on the Side“ mit Whoopi Goldberg mutierte bei uns zu „Kaffee, Milch & Zucker“. Nicht nur Amerika hat es besser. Der australische Film „Shame“ kam bei uns als „Schande“ in die Kinos, das ZDF machte daraus „Totgeschwiegen – Eine Frau schlägt zurück“. Sergio Leones Italo-Western „Il buono, il brutto, il cattivo“ heißt auf gut deutsch „Zwei glorreiche Halunken“, aus „Der Tätowierte“ „Balduin, das Nachtgespenst“. Und so weiter.

Kulturkritiker mögen das als Verwahrlosung bezeichnen, aber die Einschaltquoten geben den Marketingstrategen recht. RTL verkündet stolz, daß sein Film „Vergewaltigt – Eine Frau schlägt zurück“ von fast 9 Millionen Zuschauern gesehen wurde und kündigt als nächstes an: „Nina – Vom Kinderzimmer ins Bordell“.

Des Rätsels Lösung ist vermutlich, daß Zuschauer und Marketingstrategen Fleisch vom Fleische sind. Sie lieben die Filme nicht, sie sind ihnen gleichgültig, und sie verachten sie. So werden sie gemacht, so werden sie konsumiert.

Ein schönes, treffendes Beispiel dafür ist „Die zweite Heimat“ von Edgar Reitz. In Deutschland war die Reihe ein Flop. Kein Wunder, denn der WDR stopfte sie auf nächtliche Sendeplätze, als sei sie ein Wechselbalg, den man besser versteckt. In Italien, Frankreich und England wurde sie ein unerhörter Erfolg. Soviel zum Thema Einschaltquote. Die sind keine Richterskala, auf der blinde Naturgewalten angezeigt werden. Sie sind Resultat einer Programmpolitik, die gewollt ist.

Die Legende sagt, ein Autor und ein Regisseur hätten einst einem Redakteur, der sich immer wieder mit der Einschaltquote herausreden wollte, den Vorschlag gemacht: „Lassen Sie uns einen Film machen, den wir drei uns gern, sehr gern ansehen würden – nur wir drei. Einen Film, den wir lieben. Und wir garantieren Ihnen die beste Einschaltquote.“ Der Redakteur aber geriet in Panik und ging zur Kur. Es half nichts. Er kam zurück und machte weiter wie bisher. Von dem Autor und dem Regisseur hat man nichts mehr gehört. Detlef Michel

Michel ist Stücke- und Drehbuchschreiber