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Zirkus um Gewerbe-Standort

■ Armutsbekämpfung contra Naturschutz: Feuchtbiotop soll Gewerbe weichen Bezirk, Behörde und BergedorferInnen gespalten Von Heike Haarhoff

Naturschutz ist in Bergedorf ein Privileg der Reichen, scheint es: Die können es sich nämlich leisten, den Erhalt der 7000 Quadratmeter großen „Zirkuswiese“ am Billwerder Billdeich/Ecke Ladenbeker Furtweg als Feuchtbiotop und Erholungsfläche zu fordern.

„Das ist natürlich an sich löblich“, sagt der stellvertretende Bergedorfer Bezirksamtsleiter Hans Harten und setzt die Prioritäten für die Entwicklung des Stadtteils zugleich ganz woanders: „Wir müssen erstmal dafür sorgen, daß die Leute aus Bergedorf-West Beschäftigung finden.“ Und die Möglichkeit dazu – dafür hat sich der Bezirk jüngst ausgesprochen – soll baldigst auf der städtischen Zirkuswiese in Form eines Gewerbeparks mit kleinen Betrieben entstehen.

„Mit dem Rahmenkonzept zur Armutsbekämpfung in acht Hamburger Pilotstadtteilen haben wir uns verpflichtet, quartiersnahe Arbeitsplätze zu schaffen. Die Wiese grenzt direkt an das Problemviertel Bergedorf-West mit 6000 Menschen, von denen viele zur Zeit arbeitslos sind.“ Deshalb sei die Fläche „für diesen Zweck ideal geeignet“, begründet Harten die Bezirks-Position. Dagegen laufen AnwohnerInnen und Mitglieder der Dorfgemeinschaft Billwärder an der Bille Sturm: Die Fläche liege in der Landschaftsachse der Bille und sei als „Auenentwicklungsbereich“ ökologisch höchst wertvoll; außerdem gastiere hier zwei- bis dreimal jährlich ein Zirkus, und auch sonst seien Erholungs- und Freizeitwert der Wiese für die BillwerderInnen unwiederbringlich.

„Wenn hier Gewerbe hinkommt, ist das kein Beitrag zur Wohnumfeldverbesserung“, sieht ein Mitglied der Dorfgemeinschaft einen Widerspruch zu den Zielsetzun-gen im Armutsbekämpfungsprogramm. Schlechte soziale Infrastruktur und fehlende Freizeitangebote, die im Programm bemängelt werden, würden so nicht behoben. Und auch planungsrechtlich sei es fragwürdig, das Gelände mit Gewerbe zu bebauen: Sowohl im alten Flächennutzungsplan (F-Plan) von 1973 als auch in dem derzeit diskutierten neuen Entwurf ist die „Zirkuswiese“ als grüne Fläche ausgewiesen.

Doch die Sache hat einen Haken: Ein in Vergessenheit geratener, jedoch nie aufgehobener Uralt-Bebauungsplan aus dem Jahr 1970 sieht auf dem städtischen Grundstück eine Gewerbesiedlung vor. „Der ist rechtsgültig“, so erklärt Bernd Meyer, Sprecher der Stadtentwicklungsbehörde (Steb), daß auch im Baurecht letztendlich das „Recht des Älteren“ entscheide. Danach könnte der Bezirk sein Vorhaben problemlos umsetzen, zumal Senator Thomas Mirow (SPD) noch bei der Vorstellung seines Konzepts zur Armutsbekämpfung betont hatte, daß „die konkrete Verantwortung für die Entwicklung in den betroffenen Stadtteilen (...) bei den Bezirken“ liege.

Glücklich ist man in der Steb mit „diesem klassischen Zielkonflikt“ nicht: „Im Prinzip sind wir dafür, daß die Wiese grün bleibt“, signalisiert Bernd Meyer der Dorfgemeinschaft Billwärder behördliche Unterstützung. – In den kommenden zwei Wochen müsse gemeinsam nach einem Alternativstandort gesucht werden. Die BillwerderInnen haben schon zwei Flächen südlich der S-Bahn-Station Nettelnburg oder am Ladenbeker Furtweg nahe der Gewerbeschule im Auge.

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