: Bonner Bericht über „Razzia radikal“
■ Justizministerin zu norddeutschen Hausdurchsuchungen bei „Linksextremen“ Von Marco Carini
Die Bundesanwaltschaft hat sich bisher ausgeschwiegen. Eine kurze Pressemitteilung, danach kein weiterer Kommentar zur bundesweiten Razzia gegen „Linksterroristen“ am 13. Juni dieses Jahres. Auskunftsfreudiger gibt sich da Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FPD). Sechs Wochen nach den schwerpunktmäßig in Norddeutschland durchgeführten Durchsuchungen beantwortete sie jetzt eine parlamentarische Anfrage der Grünen persönlich.
Nach ihren Angaben wurden danach bei der generalstabsmäßig geplanten Aktion insgesamt elf „Objekte“ in Hamburg und sieben in Schleswig-Holstein durchstöbert. Dabei richteten sich die Durchsuchungen jeweils sowohl gegen „die Verantwortlichen der Untergrundzeitschrift ,Radikal' wie gegen angebliche „Mitglieder der terroristischen Vereinigung Antiimperialistische Zellen“ (AIZ).
In dem Bericht aus Bonn gibt es auch erstmals eine „offizielle“ Würdigung der Durchsuchungsmaßnahmen, für die es aus Sicht der Betroffenen keinerlei Rechtsgrundlage gab. So waren im Rahmen der Razzia auch die Räumlichkeiten des „Notrufs für vergewaltigte Frauen und Mädchen“ und der antifaschistischen Gruppe „Informationsdienst Schleswig Holstein“ in Neumünster durchwühlt worden, ohne daß hierfür ein Durchsungsbefehl vorlag. Das Pech der beiden Einrichtungen: Sie sitzen im gleichen Gebäude wie der Verein „Infoladen Omega“, den die Generalbundesanwaltschaft zum Durchstöbern freigegeben hatte.
Es würde sich also um „Nebengelasse“ des Infoladens handeln, begründet Leutheusser-Schnarrenberger die Ausweitung des Durchsungsbefehls. Daß die Razzia auch die Räumlichkeiten des Informationsdienstes umfaßt hat, sei zudem „während der Ausführung nicht zu erkennen“ gewesen. Nach übereinstimmenden Zeugenaussagen aber wurden die suchfreudigen Einsatzkommandos mehrfach darauf hingewiesen, daß sie ihre Sammeltätigkeit gerade auf Räume ausdehnen, die mit dem Objekt ihrer Begierde nichts zu tun haben.
Daß die rechtlich fragwürdige Durchsuchung des Frauennotrufs ein Flop war, räumt die Justizministerin freimütig ein. Sie wäre „beendet“ worden, nachdem „die Durchsicht der vorgefundenen Gegenstände einen Verfahrensbezug nicht erkennen ließ“.
Schweigsam gibt sich die Justizministerin in einem anderen Fall. Bei dem mutmaßlichen „Radikal“-Mitherausgeber Andreas E. aus Lübeck, der noch immer unter verschärften Haftbedingungen im Knast seiner Heimatstadt einsitzt, wurden Unterlagen über die Unterwanderung der Lübecker Polizei durch Neonazis beschlagnahmt. „Eine Antwort“ auf die Frage, welchen Bezug diese Unterlagen zum Ermittlungsverfahren hätten, ist für Leutheusser-Schnarrenberger jedoch derzeit „nicht möglich“.
Doch das Interesse der Staatsanwälte an den Materialien über die Polizei-Unterwanderung von rechts scheint groß. „Die Auswertung“, so Leutheusser-Schnarrenberger, dauere noch an. Die beschlagnahmten Unterlagen würden noch „benötigt“.
Da neben Andreas E. noch immer drei weitere Beschuldigte in Haft sitzen, findet am heutigen Samstag ab 11 Uhr eine Demonstration in Neumünster/Kleinflecken statt, die vor der dortigen Justizvollzugsanstalt – auch hier sitzt ein mutmaßlicher „Radikal-Herausgeber“ – enden wird (Abfahrt Hamburg: 9.30 Uhr Sternschanze).
Nachdem bereits am 4. Juli ein Bremer Mann in Beugehaft genommen wurde, weil er die Aussage verweigert hatte, werden mittlerweile dreißig weitere stumme Zeugen aus der linken Szene mit mehrmonatiger „Beugehaft“ bedroht. Eine Solidaritäts-Party für alle von dem „Anschlag auf linke Strukturen“ (Szeneflugblatt) Betroffenen findet am heutigen Samstag ab 21 Uhr in der Klausstraße 10 (Hamburg-Altona) statt.
(Siehe auch Bericht S.1)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen