: „Offensichtlich rechtswidrig“
■ Landgericht rügt „abgestumpftes Rechtsempfinden“ in der JVA I Insassen beklagen „unerträgliche Haftbedingungen“ Von Silke Mertins
Eine Rüge kommt selten allein: Nachdem Peter Weiß, Gefängnisdirektor der Anstalt I Fühlsbüttel, mehrfach von Insassen der „Rechtsbeugung“ beschuldigt wurde, verpaßte ihm auch das Landgericht Hamburg eine schallende Ohrfeige. Ein „abgestumpftes Rechtsempfinden“ bescheinigte die Strafvollstreckungskammer dem Anstaltsleiter.
Konkret ging es um die Klage des drogensüchtigen Häftlings H. gegen die Anstalt I. Im offenen Vollzug im Gefängnis Vierlande nahm der Knacki an einem Substitutions-Programm teil und war mit der Anstaltsärztin Dr. Kelch in einen Disput über die Höhe der Polamidon-Dosis geraten; H. wollte weniger Drogenersatzstoff, die Ärztin erhöhen. Weil der Gefangene die Dosis verweigerte, kam er in eine Arrestzelle und wurde in den geschlossenen Vollzug der Anstalt I verlegt und erneut der sogenannten Einweisungskommission – Chef: Peter Weiß – vorgeführt. Diese beschloß, H. aus „medizinischen Gründen“ in die Anstalt I – Chef: Peter Weiß – einzuweisen.
Das war aber „offensichtlich rechtswidrig“, entschied das Landgericht und ordnete die Rückverlegung des Insassen H. sowie die Zuweisung seines alten Arbeitsplatzes an. Befremdlich sei, so Richter Reinhold Roth in seiner Begründung, daß man nicht versucht habe, die näheren Umstände des Disputs aufzuklären. Auch widersprach Richter Roth der Anstaltsleitung, für den Häftling sei „kein irreparabler Schaden“ ersichtlich, wenn er mehr als drei Monate lang in den geschlossenen statt in den offenen Vollzug käme. Weil der Gefangene Anspruch auf ärztliche Versorgung habe, die Ärztin diese aber verweigert, müsse die Behandlung extern ermöglicht werden.
Willkür und „Herrschaft nach Gutsherrenart“ wirft auch der Insassenvertreter Andreas Caulier (Anstalt I) Peter Weiß vor. Der Anstaltsleiter hätte ihm vorgeworfen, „Gefangenenaufwiegelung“ zu betreiben, berichtet Caulier. Denn er habe mehr als die Hälfte der Widersprüche bei Antragsablehnungen – zum Beispiel Urlaub – formuliert. Letzte Woche war er aus „Platzgründen“ nach Santa Fu verlegt worden, wurde aber auf öffentlichen Druck hin schon gestern zur Anstalt I zurückgeschickt. Weiß war für eine Stellungnahme gestern nicht erreichbar.
Auch in Santa Fu (Anstalt II) beklagen sich Insassenvertreter über die „unerträglichen Haftbedingungen“. Wegen Überbelegung wurden bereits 20 weitere Knackis dorthin verlegt, 30 weitere sollen folgen. Eine für Montag angekündigte Pressekonferenz wurde jedoch nicht gestattet, weil „das rechtlich gar nicht möglich sei“ so der Strafvollzugsleiter Friedrich-Diethmar Raben. Die Insassenvertreter Jens Stuhlmann behauptet hingegen, es hätte auch schon in der Vergangenheit Pressegespräche gegeben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen