: Alte Bären & Das "Jazzfestival Hamburg 98" vereint große Vertreter aller Jazzgenerationen
Bei den vielen Jazz-Konzerten, die in Hamburg so pro Jahr stattfinden, gibt es überraschend wenig Highlights. Die großen Namen, die man zu hörenbekommt, sind immer wieder dieselben. Immer wieder Herbie Hancock. Immer wieder Joshua Redman. Und am Brasilienabend natürlich immer wieder Gilberto Gil. Gerade die großen Festivals, das der Fabrik oder der „WestPort“, enttäuschten zuletzt durch zunehmend öde Programmgestaltung. Und wer diesen Umstand auszusprechen wagte, durfte sich noch glücklich schätzen, daß Michael Naura seiner Empörung darüber nur durch verbale Beleidigungen Ausdruck verlieh – und nicht gleich einen Schlägertrupp vorbeischickte.
Apropos Schlägertrupp, apropos NDR: Es ist nicht nur das interessante Programm, das das diesjährige „Jazzfestival Hamburg“von seinen Vorgängern positiv absetzt. Auch die Tatsache, daß der NDR diesmal nicht filmt, dürfte den Genuß der Konzerte erheblich erhöhen. Nicht nur, weil man deswegen eine Chance hat, sich näher als hundert Meter an die Bühne zu begeben, sondern auch, weil man nicht ständig Gefahr läuft, von cholerischen Kabelträgern wegen Verletzung der Bannmeile verprügelt zu werden. Vorsicht ist also nur noch gegenüber jenen Musikfreunden geboten, die Konzerte grundsätzlich nur im Sitzen absolvieren wollen und jedem, der sich – obwohl ausdrücklich gestattet! (“Freie Platzwahl“) – vor sie hinstellt, an die Wäsche wollen.
Unstrittiger Höhepunkt des Happenings ist das Eröffnungskonzert: Nicht nur, daß es die rare Gelegenheit gibt, mit Sonny Rollins dem womöglich weltbesten Tenorsaxophonisten beim Spielen zuzusehen – mit dem jungen Pianisten Stephen Scott und dem legendären Baß-Routinier Bob Cranshaw hat der Meister auch noch zwei Begleiter dabei, die dafür sorgen, daß der Abend nicht zur Ein-Mann-Show ausartet. Die beiden wissen, den großen alten Mann zu fordern.
Kaum weniger spannend dürfte es einen Tag später zugehen, wenn mit Pharoah Sanders ein anderer Saxophon-Altmeister die Bühne in der Barnerstraße betritt. Das musikalische Konzept der beiden könnte jedoch unterschiedlicher nicht sein: Bei Rollins gibt es klare, dynamische, Blues-geerdete Improvisation der alten Hard-Bop-Schule, bei Sanders ausladende fernöstlich beeinflußte Groove-Meditationen. Produziert wurde er zuletzt von dem umtriebigen New Yorker Bassisten Bill Laswell, der am selben Abend auch mit seinem eigenen Sextett auf der Bühne steht. Ein weiterer großer alter Mann des Saxophons (allerdings nicht des Tenors, sondern des Alts) komplettiert den zweiten Abend: Charlie Mariano präsentiert sein Ensemble Nassim.
Der Free Jazz im Stil der Sechziger und Siebziger erfreut sich derzeit wieder verstärkter Beliebtheit. Das kleine, aber selbst- und sendungsbewußte Völkchen der Free-Revivalisten wird sich den Donnerstag der nächsten Woche rot markieren, denn am diesem Abend steht der holländische Schlagzeuger Han Bennink mit seinem Trio Clusone auf dem Programm. Ihm folgt das Chicago-Post-Rock Paket aus Tortoise und Isotope 217. Die allgemeine Begeisterung, die diesen Gruppen entgegengebracht wird, ist mir allerdings bislang ein Rätsel. Für mich ist deren seelenloses, pompöses Gegniedel ein Rückfall in Siebziger-Art-Rock-Todsünden. Wenn sie wenigstens spielen könnten! Aber vielleicht höre ich ja diesmal auch das, was die Mehrheit der Kritiker-Kollegen in der Musik von Tortoise hören. Einstweilen ziehe ich die Grateful Dead oder die frühen Pink Floyd vor.
Freunde des postmodernen Kitsches freuen sich über das Gastspiel des britischen Soundtrack-Königs Michael Nyman, der Filmmusik aus Greenaway-Werken und aus Das Piano zur Aufführung bringen wird. Und auch die Anhänger des angejazzten HipHop kommen auf ihre Kosten, wenn einen Tag später die Rap-Truppe Sens Unik aus der französichen Schweiz auftritt. Mit mehr Überraschungen kann am selben Abend wahrscheinlich der japanische Trompeter To-shinori Kondo aufwarten, der das Programm seiner kürzlich veröffentlichten Kollaboration mit DJ Krush darbieten wird – allerdings ohne Krush, sondern mit Yama Kenny Future an den Plattenspielern. Außerdem dabei: der Gitarrist Eraldo Bernocchi.
Auch der Ausklang der Veranstaltung ist irgendwie würdig: Am Sonntagmorgen gibt es einen gemütlichen Frühschoppen mit Henning Venske und der NDR Bigband für all jene, die Jazz ,Jatz' aussprechen. Womit klar wäre: Auch wenn wir auf einmal ein außergewöhnliches Jazzfestival haben – Hamburg bleibt Hamburg.
Dienstag: Sonny Rollins, 21 Uhr. Mittwoch: Pharoah Sanders + Bill Laswell + Charlie Moriano, 21 Uhr. Donnerstag: Tortoise + Isotope 217 + Trio Clusone, 21 Uhr. Freitag: Michael Nyman + Trigon + Vershki Da Koreshki, 21 Uhr. Sonnabend: Sens Unik + Toshinori Kondo + Source Direct, 21 Uhr. Sonntag: NDR Bigband + Henning Venske, 10.30 Uhr.
Für alle Veranstaltungen gibt es noch Karten.
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