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Gesichter einer Nacht

Eigentlich stand Abidjan nicht auf der Reiseroute, doch der Grenzbeamte war gnädig. Ein Abend in Bars und Kneipen der westafrikanischen Stadt Abidjan  ■ Von Manfred Loimeier

Wenn zwei Männer vor einem vornehmen Hotel etwa eine Stunde nach Mitternacht einen Taxifahrer fragen, wo sie um diese Zeit noch angenehm etwas trinken können, dann dürfen sie sich nicht wundern, wenn er sie in ein Stadtviertel fährt, in dem man die Nacht nicht allein mit Trinken verbringt. Das ist in jeder Großstadt so. Auch in Abidjan, der früheren Hauptstadt der westafrikanischen Elfenbeinküste.

Schon im Flugzeug waren wir ins Gespräch gekommen. Weder Erik noch ich hatten das Einreiseformular ausgefüllt. „Hast du ein Hotel gebucht?, wollte Erik wissen, und ich sagte ihm, daß ich eigentlich noch am selben Abend hatte weiterfliegen wollen. Wegen der verspäteten Ankunft würde ich aber meinen Anschlußflug verpassen. Ein Hotelzimmer hätte ich daher nicht gebucht und auch ein Visum nicht beantragt. „Hab' ich ebensowenig“, antwortete Erik. Kurz vor Mitternacht würden wir ohne Einreisevisum für die Elfenbeinküste in Abidjan landen und müßten dann bis zum Weiterflug 22 Stunden warten. „Ich hab' gehört“, sagte Erik, „daß es eine Art Ausnahmegenehmigung geben soll, um den Flughafen auch ohne Visum verlassen zu können.“

Abidjan gilt nicht nur als modernste und europäischste Stadt Westafrikas, sondern auch als die am schönsten gelegene. In einer Lagune erstreckt sich die 3,5-Millionen-Metropole über vier Halbinseln und zieht sich einen Hügel hinauf. Im Hafen werden die wichtigsten Exportgüter der Elfenbeinküste verschifft, Kaffee und Kakao, und seit 1993 findet in Abidjan alle zwei Jahre der „Markt der afrikanischen Künste und Schauspiele“ (MASA) statt. Das Geschäftsviertel und die Haupteinkaufsstraßen Abidjans befinden sich im Stadtteil Plateau; danach folgen die exklusiveren Wohngegenden Deux Plateaux und Cocody. Zwei Brücken verbinden das Plateau mit Marcory und Treichville, den eher afrikanisch geprägten Vierteln. Treichville ist streng rechteckig angelegt; etwa 30 Avenuen kreuzen in West-Ost-Richtung rund 45 von Nord nach Süd ausgerichtete Straßen. Nach Treichville begeben sich laut Reiseliteratur wegen des nahen Hafens und des bunten Nachtlebens eher „Seeleute und lebenslustige Menschen“. Auch wir werden dort landen.

Am Flughafen waren wir noch vor der Paß- und Zollkontrolle zum Transitraum gegangen und hatten einen Polizisten gefragt, an wen wir uns wenden müßten, wenn wir ohne Visa in die Stadt wollten. Er verwies uns an einen Kommandanten, der aber nur die Schultern zuckte. „Lassen Sie mich Ihnen helfen“, kam uns ein Grenzbeamter entgegen, „gehen wir erst einmal Ihr Gepäck holen.“

Mit unseren Taschen standen wir erneut vor dem Kommandanten und sagten – einem dezenten Hinweis des Grenzbeamten zufolge –, wir hätten doch in der Stadt ein Hotelzimmer gebucht. Aber der Kommandant verwies uns nur an das Flughafenhotel über dem Transitraum. Zu dem Angestellten hinter der Rezeption des Flughafenhotels sagte ich: „Es soll nicht Ihr Schaden sein, wenn Sie kein Zimmer mehr für uns haben.“ Der Angestellte, der einige Scheine einer weltweit gültigen Währung entgegennahm, erwiderte, daß er es in der Tat nicht schade fände, für uns keine Zimmer mehr zu haben.

„In welchem Hotel haben Sie denn ein Zimmer reservieren lassen?“ fragte der Kommandant als nächstes. Das von uns auf gut Glück angegebene Hotel bestätigte dem Kommandanten zu unserer Überraschung, daß eine Reservierung vorläge. „Sie lassen Ihre Reisedokumente bis zu Ihrem Weiterflug hier und erhalten eine Ausnahmegenehmigung“, beschied der Kommandant und legte unsere Ausweise auf einen ordentlichen Stapel weiterer Pässe. „Psst“, tuschelte der Grenzbeamte auf dem Weg zum Taxi, „denken Sie an meine Belohnung!“

Erik erzählt, er sei Goldgräber von Beruf. „In Südafrika habe ich gearbeitet, in Bolivien, Kanada und sonstwo. Am härtesten war es im Kongo: monatelang nur Dschungel, Schlamm und unser Trupp.“ Eben sei er aus Ghana abgezogen worden, um in Mali ein neues Lager einzurichten, „die komplette Infrastruktur. Baracken, Küche, Arbeitsgeräte, Verpflegung, Personal. Dabei spreche ich kein Wort französisch. Zum ersten Mal in meinem Leben weiß ich nicht, ob ich das schaffe.“ Erik ist 37 Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder. „Ich hab' versucht, zu Hause einen Job zu bekommen, aber wenn du 15 Jahre lange im Ausland warst, dann bist du der letzte, der Arbeit erhält, und außerdem hältst du's zu Hause auch kaum noch aus.“ In einer der Kneipen, die wir besuchen werden, wird Erik mir Fotos zeigen, von seiner Frau und seinen Kindern, von sich mit seiner Familie.

„Blue Note“ heißt eine der vielen Bars in Treichville, die auf dem breiten Gehweg einer Avenue ein paar Tische stehen haben. Die Nacht ist sternenklar und angenehm lau. Taxis bringen laut plappernde Paare, mit Kettchen, Uhren und Ringen geschmückte Herren, Gruppen junger Mädchen, deren Kleidung soviel Figur und Haut als möglich zeigt. Freilich mischen sich auch illustrere Gestalten jeden Geschlechts unter das nächtliche Publikum, die auffällig, aber nicht geschmacklos geschminkt und aufreizend promenierend ihre kurzzeitige Begleitung gegen Gebühr anbieten. Mit Lautsprechern wird Musik aus den Bars nach draußen übertragen. Gerade ist ein Hit von Alpha Blondy zu hören, dem Reggae-Star der Elfenbeinküste, der mit dem Titel „Cocody Rock“ eine Hommage an die Stadt Abidjan schrieb und mit dem Lied „Boulevard de la mort“ seinen Ruf als Kritiker von Folter, Machtmißbrauch und Diskriminierung festigte.

„Sobald sich Barmädchen zu uns an den Tisch setzen, wechseln wir das Lokal“, schlägt Erik vor und leitet damit eine Tour durch diverse Kneipen ein. Zuletzt landen wir in der wegen seiner Live- Musik berühmten Janick-Bar. Erik hat es schwer, gegen die Lautstärke weiter aus seinem Leben zu erzählen. Vor einem Jahr hatte er endlich einen Job daheim gefunden und alles schien gut zu verlaufen. Aber dann wurde seiner Frau das Leben zu eng; die ganzen Jahre über mit den Kindern allein zu Haus, und plötzlich ist der Mann da – das war ihr zuviel. „Sie hat vor ein paar Wochen die Scheidung eingereicht, und ich arbeite jetzt wieder irgendwo in der Welt. Von meiner Familie werden mir wohl nur die Fotos bleiben.“

Der Morgen graut schon, als wir uns ein Taxi zurück ins Hotel nehmen. Über den Palmen entlang des Boulevards leuchten noch die Sterne, in unserem Rücken zeichnen sich die Umrisse des Plateaus ab, und vor unseren Augen hebt sich die Sonne über den Horizont. Als wir etliche Stunden später zum Flughafen fahren und dort unsere Reisepässe abholen wollen, deutet der Kommandant auf den Stapel Ausweise und sagt: „Bedienen Sie sich.“ Der Grenzbeamte bringt uns wieder an Zoll und Paßkontrolle vorbei zur Abflughalle. „War's schön in der Stadt?“ fragt er lächelnd und winkt zum Abschied.

Einreisevisa erteilt gegen 30 Mark Gebühr die Botschaft der Elfenbeinküste, Königstr. 93, 53115 Bonn, Tel. (0228) 212098

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