Marionettentheater des Fußballs

In sechs Wochen wird der neue Präsident des Weltfußballverbandes Fifa gekürt: Die beiden Bewerber Joseph Blatter und Lennart Johansson versprechen das Blaue vom Himmel  ■ Von Matti Lieske

Was ist die Zukunft des Weltfußballs? Demokratie, Demokratie und nochmals Demokratie! Zumindest, wenn man den beiden Kandidaten glaubt, die sich am 8. Juni in Paris für das höchste Amt des Fußballsports, das des Fifa- Präsidenten, zur Wahl stellen. Lennart Johansson (68) und Joseph Blatter (62) überbieten sich gegenseitig mit Beteuerungen, den Weltverband grundlegend reformieren zu wollen.

Der hat dies bitter nötig. Nach 24 Jahren absolutistischer Herrschaft von Joao Havelange, dem guten Freund aller Diktatoren von Videla bis Abacha, tritt dieser mit 82 Jahren endgültig in den Ruhestand. Der Weg für einen Wandel der Führungsstrukturen im populärsten Sport der Welt ist damit frei. Die feindlichen Lager zaudern indes nicht, dem jeweiligen Kontrahenten einen ernsthaften Willen zur demokratischen Reform radikal abzusprechen.

„Havelanges Marionette“ wird Blatter, der dem Potentaten seit 1981 als Fifa-Generalsekretär ergeben, wenn auch nicht durchweg treu, diente, in Kreisen des europäischen Verbandes Uefa genannt. Havelange wiederum, der den Schweizer in der Tat als Nachfolger vorschlug und dabei in den höchsten Tönen lobte, denunzierte den schwedischen Amtsaspiranten schnöde als „Handlanger der Deutschen“. Tatsächlich bietet der Abgang des Brasilianers der vor allem von Johansson, DFB-Präsident Egidius Braun und dem Italiener Antonio Matarrese gebildeten europäischen Allianz die große Chance, wieder die Macht in der Fifa zu bekommen, die ihnen nach ihrer Meinung längst zusteht.

Havelange ließ keine Gelegenheit aus, die Europäer vor den Kopf zu stoßen. Offen betrieb er Lobbyismus für die Austragung der WM 2006, die auch Deutschland und England gern hätten, in Südafrika, und besonders rüde war seine Reaktion auf jene Reformpapiere mit den Titeln Vision I und Vision II, welche die Uefa 1995 vorlegte. Allerdings machte es der europäische Verband dem Fifa- Boß auch sehr leicht, denn die sogenannte Liberalisierung zielte neben einigen begrüßenswerten Vorschlägen zur Transparenz im Fifa- Apparat und zur Machtbegrenzung des Präsidenten im wesentlichen auf eine massive Stärkung der Uefa ab. So sollte die Sitzverteilung im Fifa-Exekutivkomitee nach deren Vorstellungen so gewichtet werden, daß die Europäer mehr Einfluß bekämen. Vision II, das ganz vernünftige Vorschläge zur Vermarktung der WM nach Muster der Champions League entwickelte, beinhaltete auch, daß künftig ein größerer Teil der Einnahmen den Ländern zufließen sollte, die beim Finalturnier am besten abschneiden. Zudem sollten die TV-Gelder entsprechend der pro Land erzielten Einnahmen aus den Fernsehrechten verteilt werden. Motto: Mehr Reichtum den Reichen. Sprich: den Europäern.

Besonders dreist war der Vorschlag zur Austragung der WM. Diese sollte künftig im Rotationsverfahren an die vier Kontinentalverbände Asien, Afrika, Amerika und Europa vergeben werden, aber, bitte schön, erst ab 2010. Denn die WM 2006 wollen ja die Europäer, und ihrem eigenen Vorschlag zufolge wären sie ja nach Frankreich 1998 unglücklicherweise erst 2014 wieder dran.

Trotz dieser eurozentristischen Pläne schien Johanssons Kandidatur lange auf sicheren Füßen zu stehen, konnte er doch vermeintlich auf die Unterstützung der großen Mehrheit der 198 Mitgliedsverbände der Fifa zählen. Der einzige Unsicherheitsfaktor war Joseph Blatter, und so erklärt sich die ebenso giftige wie unsinnige Kampagne, die der Schwede und seine Verbündeten seit Monaten gegen den Schweizer führen. Die frühe Fixierung auf das Feindbild Blatter könnte sich noch als schwerer Fehler erweisen, denn anstatt tragfähige Konzepte für die Zukunft vorzustellen und in der Öffentlichkeit zu propagieren, führten die Europäer einen lächerlichen Kleinkrieg, um Blatter mit Macht zur frühzeitigen Erklärung seiner Kandidatur und zum Rücktritt als Generalsekretär zu bewegen. Der Adressat der Kampagne konnte sich jedoch gemütlich zurücklehnen, denn schließlich hatte jeder Interessent offiziell bis zum 8. April Zeit, sich für das Amt des Präsidenten zu bewerben, und ein Rücktritt als Generalsekretär war vielleicht moralisch angezeigt, aber nirgends in den Fifa-Statuten zwingend geboten. Schließlich reist auch Johansson in seiner Funktion als Uefa-Präsident ungeniert nach Asien und betreibt dort Werbung in eigener Sache.

So war der Skandal um die von Havelange abrupt beendete Exekutivsitzung im März weniger ein diktatorischer Akt des Brasilianers als vielmehr ein kleiner Putschversuch von 13 der 24 Exekutivmitglieder, die Blatter entgegen eines vorliegenden juristischen Gutachtens und ohne jede statutgemäße Legitimation mit ihrer knappen Mehrheit zum Rücktritt zwingen wollten, bevor dieser überhaupt offiziell kandidiert hatte.

Das inhaltliche Defizit der Kandidatur Johanssons, der sich zunehmend als äußerst plumper Taktiker erweist, wurde deutlich, als der mit allen Wassern gewaschene Machiavellist Blatter schließlich offiziell seine Bewerbung verkündete und mit einem populistischen Reformprogramm aufwartete, das Ideen aus den Vision-Papieren enthält und die Einbindung von „Protagonisten des Fußballs“ – wie Spieler, Trainer, Schiedsrichter – in die Exekutive vorsieht. Als besonders raffinierten Coup präsentierte er mit Michel Platini einen der angesehensten Männer des Weltfußballs als Säule seiner potentiellen Regentschaft. Mit einem praxisbezogenen Konzept will Blatter Punkte sammeln gegen die Uefa-Funktionäre, die in den letzten Jahren viel Zeit damit verbrachten, ihren Mangel an Flexibilität unter Beweis zu stellen, indem sie gegen Bosman-Urteil und Kartellgesetze kämpften.

Platini soll als Technischer Direktor für weitere sportliche Reformen zuständig sein, etwa das von den Berti-Deutschen heftig bekämpfte Grätschverbot, während sich der Schweizer selbst um die finanzielle und organisatorische Seite kümmern will. Ein Gebiet, in dem er sich mit dem umstrittenen und wirren Kirch-Fernsehdeal für die WM-Turniere 2002 und 2006 nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat, nachdem die Havelange-Administration vorher durch einen langfristigen Appel- und-Ei-Vertrag mit den europäischen Anstalten die Entwicklung der TV-Gelder verpennt hatte.

Anstatt jedoch hier anzusetzen und einen inhaltlichen Wahlkampf zu betreiben, zeterte Johansson weiter darüber, daß Blatter sein Amt nicht aufgibt, sondern nur bis zur Wahl ruhen läßt, und bringt beharrlich die Leier von der Havelange-Marionette. Dabei war Blatter noch vor vier Jahren spinnefeind mit seinem Chef, als er einen Putsch gegen den kränkelnden Brasilianer plante, der nur scheiterte, weil die Uefa ihre Unterstützung versagte, wie Johansson inzwischen gern kolportiert. Man darf davon ausgehen, daß Blatter für Havelange keineswegs den idealen Nachfolger, aber wohl das kleinere Übel darstellt.

Während der clevere Blatter bisher offene Bosheiten gegen den Kontrahenten vermeidet und ihn als „sicherlich guten Präsidenten“ bezeichnet, zeigt das Gepolter der Uefa-Connection bereits Wirkung, sogar in den eigenen Reihen. Nachdem zuerst Frankreichs Verband von der eindeutigen Unterstützung Johanssons abrückte, zeigt ihm jetzt auch England möglicherweise die kalte Schulter. Die Briten hat der Schwede durch seine dauerhafte Parteinahme für die deutsche WM-Bewerbung 2006 verprellt. Daß Johansson in seiner Platini- Panik ausgerechnet Franz Beckenbauer, Galionsfigur der WM-Kampagne des DFB, als „Unterstützer“ präsentierte, dürfte da kaum beruhigend wirken. „Ich denke, es ist unglücklich, wenn irgendein Kandidat einen Standpunkt über eine Entscheidung bekanntgibt, die in zwei Jahren getroffen wird“, rügte Englands Kampagnendirektor Alec McGivan. Gemildert wird der negative Effekt lediglich dadurch, daß auch Blatter nicht widerstehen kann, die WM-Bewerbung für seinen Wahlkampf zu nutzen. Südamerika hat er auf seiner Seite, aber er benötigt unbedingt die Unterstützung möglichst vieler der 50 afrikanischen Verbände. Also plädiert er sanft für Südafrika, was nach dem Rotationsprinzip naheliegt, aber wiederum die Engländer nicht gerade günstig stimmen wird.

Fakt ist, daß Johanssons Unterstützung zu bröckeln beginnt. „Bisher wußten die Verbände nicht, daß es einen anderen Kandidaten gibt, und da machte es Sinn, daß sie hinter dem einzigen europäischen Kandidaten standen“, sagte Blatter bei seinem Outing, „jetzt hat sich die Situation geändert – es gibt zwei Kandidaten.“ Wenn es Lennart Johansson nicht gelingt, auf diese neue Situation schneller und kompetenter zu reagieren als auf viele Veränderungen in der Vergangenheit, spricht einiges dafür, daß auch der nächste Fifa-Präsident kein Schwede sein wird.