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Tanz auf der Rasierklinge

Mit risikoreichem Angriffsfußball erkämpft sich der 1. FC Kaiserslautern ein verdientes 2:2 bei Hansa Rostock und dreht den Münchener Bayern eine lange Nase  ■ Aus Rostock Matti Lieske

Einen Schiedsrichter aus Bayern hatte Otto Rehhagel am Samstag in Rostock nicht zu fürchten. Herr Aust kommt aus Köln, und seine Pfiffe brachten im Ostseestadion eher den Coach der Gastgeber in Rage. Besonders über jenen Triller, der dem 1. FC Kaiserslautern in der 69. Minute einen Freistoß in Eckfahnennähe schenkte, konnte sich Ewald Lienen noch lange nach Spielschluß immer wieder aufs neue ereifern, und man darf davon ausgehen, daß der Zettel, auf dem er sich diese prekäre Szene notiert hat, einen exponierten Platz in seiner umfänglichen Sammlung bekommen wird. Besagten Freistoß verlängerte Rostocks Gansauge zum 2:2-Endstand ins eigene Netz – ein Remis, das den Pfälzern in ihrem Trachten nach der Meisterschaft mehr hilft, als den Mecklenburgern beim Streben nach einem Uefa-Cup- Platz.

Dabei war es wohl vor allem die Kunde vom Fußballkabarett in Bielefeld, die FCK-Trainer Otto Rehhagel so vergnügt in die Runde blicken und allseitiges Wohlwollen verströmen ließ. Drei Spieltage vor Schluß bloß ein 4:4 des FC Bayern München beim designierten Absteiger, dazu angesichts des Spielverlaufs ein letztlich gewonnener Punkt bei den starken Rostockern, das läßt den Wundertäter vom Betzenberg gelassen dem Meisterschaftsfinish entgegensehen. „Alles ist so geblieben, wie es vor dem Spiel war“, konstatierte Rehhagel und blinzelte zufrieden wie ein frischgefütterter Kater. Selbst Bayern-Manager Uli Hoeneß, sonst gerade, wenn es um die Wurst geht, um markige Worte selten verlegen, mußte einräumen, daß jeder Spieltag, an dem der 1. FCK seinen Vorsprung behaupte, „natürlich den Lauterern hilft“. Diese haben weiterhin einen Punkt Vorsprung vor den Bayern und noch ein Nachholspiel – in Bielefeld, wo Middendorps Komödienstadl seine Heimstatt hat.

Zu Beginn der Partie im winddurchtosten Ostseestadion war es mit der Rehhagelschen Contenance allerdings längst nicht so weit her wie nach Spielschluß. Wütend teufelte er in der ersten Spielminute auf Ersatzspieler Harry Koch ein, so als habe der gerade die Abseitsfalle verbockt, die zum blitzschnellen 1:0 für die Gastgeber durch Barbarez führte. Dabei hatte der Trainer Koch kurzfristig aus der Anfangsformation genommen, um mit Wagner den vom Wadenbeinbruch genesenen Oliver Neuville besser zu kontrollieren. Der wieselte indes munter durch die FCK-Abwehr und ließ nur beim Abschluß seinen Mangel an Spielpraxis erkennen.

Auf der anderen Seite beeindruckte Kaiserslautern durch kluge Angriffe über die Flügel und hochgefährliche Flanken auf die unablässig drängelnden und zerrenden Spitzen Marschall und Rische. Einen „Tanz auf der Rasierklinge“ nannte Rehhagel die offensive Spielweise seines Teams, das sich als genuine Spitzenmannschaft erwies, welche sich auch durch ein Gegentor „zum psychologisch ungünstigsten Zeitpunkt“ (Rehhagel) nicht umwerfen läßt. So entwickelte sich ein „hochklassiges, hochdramatisches Spiel mit einer Unmenge von Torchancen“, wie es Ewald Lienen hochdramatisch beschrieb, und selbst der Hansa-Trainer mußte einräumen, daß es der Tabellenführer verdient gehabt hätte, „irgendwann so ein Tor zu machen“. Gemeint war da aber schon das Gansauge-Eigentor zum 2:2, denn nach dem Ausgleich durch Rische war Bielefeld in der ersten Minute der zweiten Halbzeit zur Gaudi der 24.500 Zuschauer im ausverkauften Stadion erneut in Führung gegangen. „Psychologisch nicht gerade günstig“, nörgelte Lienen, denn wenn man so schnell ein Tor mache, „ohne viel getan zu haben“, gehe leicht die Spannung verloren.

Anschließend demonstrierten beide Trainer – einst spinnefeind, nachdem Werders Siegmann Lienens Oberschenkel aufgeschlitzt und dieser die Schuld Coach Rehhagel gegeben hatte – geradezu überbordende Harmonie. In höhnischer Eintracht schmähten sie die Medien, die ihnen ständig die dumme Frage stellen, ob sie Meister werden respektive in den Uefa-Cup wollen, und schulterklopfend versicherten sie sich gegenseitiger Wertschätzung. „Eine wunderbare Geschichte“ habe „Ewald“ in Rostock aufgebaut, lobte Rehhagel, der gab das Kompliment zurück: „Wer so lange oben steht, hat es verdient.“ Und dann taten beide so, als könne sie nach unerwartet glamouröser Saison auch das Verpassen von Meisterschaft respektive Uefa-Cup nicht mehr nennenswert kratzen. Aber das war natürlich grob gelogen.

1. FC Kaiserslautern: Reinke – Kadlec – Roos (53. Koch), Schjönberg – Buck, Hristow, Sforza (85. Ballack), Wagner, Reich (68. Kuka) – Rische, Marschall

Zuschauer: 24.500; Tore: 1:0 Barbarez (1.), 1:1 Rische (20.), 2:1 Dowe (46.), 2:2 Gansauge (69./Eigentor)

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