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Keine Zeit für Gebete

■ Der große Sonny Rollins eröffnete mit einem frenetisch umjubelten Konzert das „Jazzfestival 98“in der Fabrik Von Christian Buß

Der Mann hat keine Stimme, aber einen verdammt langen Atem. Am Mikro krächzt er ein bißchen asthmatisch – um dann an die zweieinhalb Stunden zu spielen. Sonny Rollins ist da, sieht sehr gut aus, spielt noch besser – und beschert dem „Jazzfestival 98“am Dienstag einen ausverkauften Eröffnungsabend. Eine Hundert-Meter-Schlange vor der Tür inklusive.

Samtjackett und Turnschuhe sind eine gute Garderobe für jemanden, dessen Musik gleichermaßen elegant und athletisch daherkommt. Der Mann mit dem besten Bart im Jazz – da kommt Sonny noch immer vor Sanders – hält im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen nichts von Gebeten oder Spiritualität oder Agitation, auch wenn er jetzt manchmal für den Regenwald bläst und sein neues Album Global Warming betitelt. Der Mann ist Sportler, und der Mann will auch bezahlt werden wie ein Sportler – von den Gerüchten um seine astronomischen Gagen haben wir ja berichtet. Dafür bringt er Leistung.

Erstaunlich, wie der 67jährige mit rudernden Schultern auf seinem Tenorsaxophon immer noch die gewagtesten melodischen Modulationen bringt. Er erinnert an einen Weltklasse-Leichtathleten beim Hürdenlauf – nur daß der nie zwei Hürden auf einmal überspringt, während Sonny Rollins mit seiner geschmeidigen Akkordik in Sekundenbruchteilen schon mal zwei Noten auf einmal nimmt. Der Typ ist, das darf man so sagen, eine One-Man-Show, und deshalb sei es gestattet, daß er bei einigen Nummern darauf verzichtet, seinen Begleitern Soli einzuräumen. Der Groove nimmt ab und an Anleihen beim Calypso auf, das finden einige Besucher zu gediegen, die meisten aber zum Wiegen. Eine gute klangliche Kulisse, vor der der Star seine Runden zieht und sich hier und da mal einem 15minütigen Impromptu hingibt. Manchmal schwitzend, niemals strauchelnd.

Doch auch Sonny Rollins kann letztendlich nur so gut sein wie sein Sextett. Der Platz in der Bühnenmitte ist dem Chef eingeräumt, aber wenn auf die bescheidenen Häupter von Clifton Anderson an der Posaune und vom Pianisten Stephen Scott mal das Spotlicht scheint, zeigen sie, was sie draufhaben. Hier regiert Understatement. Besonders beim höflich im Hintergrund agierenden Bob Cranshow, der Rollins schon 1962 auf dessen Album Our Man In Jazz begleitet hatte und der nun zu später Stunde lyrische Saiten aufzieht. Ja, an diesem Abend stimmt alles. Kleinigkeiten wie Licht und Sound, Grundsätzliches wie Geld und Seele. Gehört ja immer noch zusammen. Und daß sich Sonny Rollins nach zweieinhalb Stunden trotz frenetischem Applaus nur noch einmal zum höflichen Verbeugen auf die Bühne begibt, anstatt noch eine Zugabe zu spielen, geht natürlich in Ordnung. Man bittet ja auch keinen Leichtathleten nach einem Weltrekord, noch mal schnell eine Runde zu rennen, nur weil's so schön war.

Ausfall: Das Konzert von Tortoise und Isotope 217 findet nicht statt. Weil Gitarrist Jeff Parker erkrankt ist, wurde die ganze Tournee abgesagt. Deshalb spielt beim Jazzfestival in der Fabrik heute abend nur das Trio Clusone, allerdings ergänzt um den Cellisten Ernst Reijseger. Das Konzert von Tortoise wird am 23. Juli nachgeholt. Karten behalten ihre Gültigkeit oder können umgetauscht werden.

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