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Späte Liebe Aufbau Ost

■ Die "Kunst-Halle Berlin" eröffnet mit Skulpturen und Installationen von Heimo Zobernig

Eine geht noch rein. Während immer mehr Galeristen stöhnen, weil der Kunstbetrieb in Mitte Richtung Massentierhaltung mutiert, gibt es nun eine neue Kunsthalle an der Chausseestraße. Die „Neu“-Galeristen Alexander Schröder und Thilo Wermke haben sich mit der Kölner Galerie Christian Nagel zusammengetan, um „Defizite der Vermittlung zeitgenössischer Kunst abzubauen“. Deshalb sollen nach der Eröffnung mit Skulpturen des Wiener Künstlers Heimo Zobernig in den kommenden sechs Monaten Martha Rosler, Isa Genzken und Albert Oehlen ausgestellt werden, weil sie laut Nagel „in den großen Museen meist zu kurz kommen“.

Obwohl die Idee nicht eben originell erscheint, haben die drei Kunsthändler in nur zwei Monaten fünfzig Mitglieder für ihre private „Kunst-Halle Berlin“ anwerben können – darunter das Sammlerehepaar Hoffmann, das ein museales Loft in den Hackeschen Höfen bewohnt. Immerhin ist der neue Ort günstig gelegen: In zweihundert Meter Entfernung hat der Neue Berliner Kunstverein sein Domizil, eine Ecke weiter sitzen die Clubkünstler in der Schlegelstraße, und auch der Hamburger Bahnhof ist zu Fuß in fünf Minuten zu erreichen. So hat man Mitte- Feeling und Hochkultur in einem.

Vor allem aber ist die location attraktiv: Die ehemalige Kaufhalle riecht noch ein wenig nach dem Mief der VEB-Produkte und hat trotzdem Partyatmosphäre. Grauscheckiger Terrazzoboden, hochbetonierte Wände und eine Neonbeleuchtung, heller als tausend Narva-Lampen. Dazu wurde neben dem Ausstellungsraum gleich eine Lounge für DJ-Acts mit eingerichtet – wer keine Kunst möchte, bekommt eben Rave.

Auf den seltsamen Spagat zwischen Ostalgie und Clubkultur hat Zobernig prompt reagiert. Während vor dem Flachbau eine Skulptur an die Gründung der Spartakus-Gruppe 1916 erinnert, zeigt der Kontext-Künstler hinter dem Haus seinen Gegenentwurf „Spartakus Catering“: ein Zelt, in dem man sich ausruhen kann.

Auch sonst ist die Ironie in Zobernigs Arbeiten offensichtlich. Die Halle ist mit säulenartigen Skulpturen im Stil der Minimal- Art vollgestellt. Doch anstelle massenhaft gefertigter Industrieobjekte benutzt Zobernig lediglich Pappe, die er schwarz oder rostbraun lackiert. Der strenge Gestaltungswille eines Donald Judd oder Carl Andre wird zur Karikatur des Systems. Mitunter kippt die Stimmung, dann steht man vor den feingliedrigen Röhren und fühlt sich in eine Kunstwelt aus Expressivität und Existentialismus versetzt, die sich ernsthaft Sorgen ums Sein zu machen scheint. Jede Figur ein Leidmotiv, so ernst und erbaulich könnte es auch auf der documenta III Anfang der sechziger Jahre zugegangen sein.

Warum Berlin noch einen Kunstverein braucht, erklärt sich aus der späten Liebe zur Abstraktion mitten auf dem Abenteuerspielplatz Ost trotzdem nicht. Vor allem geht es ums Geschäft: Die Initiative versteht sich laut Statut zwar als „unabhängiges Forum“, die Künstlerliste ist jedoch klar interessenfixiert. 1991 hatte Heimo Zobernig eine Einzelausstellung in der Galerie Christian Nagel, und parallel zur Albert-Oehlen-Werkschau wird die Galerie Max Hetzler Arbeiten des Malers zeigen. Offenbar sollen markttaugliche Künstler in einem musealen Umfeld angesiedelt werden, bevor die Kaufhalle im Herbst ohnehin abgerissen wird. Daß der Supermarkt für diese Zeit von einem Hamburger Unternehmer mietfrei zur Verfügung gestellt wird, ist auch nicht weiter verwunderlich – das Haus gehört dem Vater eines der Kunsthallen-Initiatoren. Bis zum Abriß könnte das Programm der Halle als Appetithappen funktionieren, um den Verein dann institutionell an die Stadt zu binden – auf demselben Weg waren schließlich auch die Kunst-Werke an Senatsfördermittel gelangt.

Die Gemengelage verdeutlicht, wie Kunst aus der Zeit vor der Wiedervereinigung in Berlin nachträglich und dafür aber gesamtdeutsch etabliert wird. Pünktlich zum Regierungsumzug soll auch der Kunstmarkt fit gemacht werden, vor allem von unzähligen Kölner Galerien, die sich in Mitte angesiedelt haben. Während ein Großteil der Beteiligten wegen der „Kreuzberger Chaoten“ vor 89 keinen Fuß in die Mauerstadt gesetzt hätte, übernimmt man den Kunstbetrieb nun praktisch besenrein. Danach geht es ab in die Disco. Harald Fricke

Bis 31. Mai, Di.–So. 12–18 Uhr, Chausseestraße 119/120

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