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Tee in Zeiten der Hegemonie

Von der Bronx in die Banlieues der französischen Großstädte: In Frankreich ist die Saat des HipHop auf besonders fruchtbaren Boden gefallen. Eine Erkundungsreise zwischen „Rap de la Rue“ und „Rap du Salon“ beim diesjährigen Popfestival „Printemps de Bourges“  ■ Von Daniel Bax

Vom „Triumph der Rapkultur in Frankreich“ wußte Le Nouvel Observateur im vergangenen Jahr zu künden. „Eine unglaublich dynamische Bewegung, vielfältig und positiv“ sei da entstanden, bescheinigte das linksliberale Pariser Monatsmagazin der heimischen HipHop-Community. Soviel Lob war selten und der Zeitpunkt kein Zufall. Indirekt war die Titelgeschichte nämlich eine publizistische Reaktion auf eine umstrittene Äußerung der Front-National- Politikerin Catherine Megret, die damals gerade frisch ins Amt des Bürgermeisters von Vitrolles gewählt worden war. Megret hatte einen Monat zuvor, offenbar im Vollrausch ihres Wahlsieges, einer deutschen Zeitung gegenüber verkündet: „Wir wollen etwas Ordnung bringen in die Kultur. Denn die Kultur des Raps und der tags ist nicht unsere Tasse Tee.“

Doch ob es den FN-Funktionären nun schmeckt oder nicht – an der Hegemonie des HipHop im Hexagone, wie Frankreich umgangssprachlich genannt wird, ist kaum noch zu rütteln. Nimmt man den alljährlich im mittelfranzösischen Städtchen Bourges stattfindenden „Printemps de Bourges“, das wichtigste Popfestival Frankreichs, zum Gradmesser, dann befindet sich der Rap français derzeit auf dem Höhepunkt seiner Popularität.

Einmal im Jahr verwandelt sich das verschlafene Provinznest zum Zentrum des französischen Musikgeschehens. Aus dem gesamten Umland, nicht selten sogar aus Paris, strömen Kohorten von Festivaltouristen in den kleinen Bahnhof von Bourges, von wo aus sie sich den Weg durch die mittelalterliche Altstadt zum frittenbudenumsäumten Festivalgelände bahnen. In diesem Jahr trugen die Besucher auffällig oft Nike-Mützen, Adidas-Jacken und klobige Sportschuhe.

Zum Auftakt des fünftägigen Konzertreigens gab sich Altmeister MC Solaar die Ehre. Drei Jahre lang war es bemerkenswert still um ihn gewesen, bis er sich im letzten Sommer mit seinem dritten Album „Paradisiaque“ zurückmeldete.

Gewappnet wie für die Rückeroberung seiner einst führenden Position im französischen Rap, schritt er in Bourges zum Konzert: Auf der mit hohem Gerüst verstellten Bühne hampelte ein hektischer MC Solaar im Kampfanzug über die Rampe, mit Army-Weste auf nacktem Oberkörper, flankiert von Tänzerinnen und Rap-Verstärkung, eingerahmt von zwei großen Videoschirmen und gedeckt vom auf dem Gerüst-Hochsitz thronenden DJ. Doch der martialische Military-Look diente allein dem Prose Combat, dem Wortgefecht.

Denn das ist nach wie vor MC Solaars Domäne – keiner hat die Verfeinerung des Wortspiels so weit getrieben wie er. Auf „Paradisiaque“ rühmt MC Solaar seine Beschreibungsgabe mit dem Selbstlob: „Ich bin der Zoom.“ So weit die Kunst, alles andere ist Show: Zum Stück „Gangster moderne“ tanzt seine Truppe im Mafiafilm-Outfit, dann kehrt der oberste Wortwerker in orangerot leuchtender Latzhose wieder vors Publikum, zum ausschweifenden Reimstakkato.

Im Ausland mag MC Solaar weiterhin als erfolgreichster Botschafter französischen flows firmieren. Doch zu Hause hat er im Kampf um Marktanteile und Medienpräsenz erheblich an Terrain verloren. Nicht allein aus eigenem Verschulden: Politik und Justiz gaben der Konkurrenz mächtig Auftrieb. Auftrittsverbote und eine Verurteilung wegen „Beleidigung der Polizei“ im Herbst 1996 durch einen Richter im rechtsextrem regierten Toulon haben etwa die Gruppe NTM erst richtig berühmt gemacht (das Kürzel steht für die Beleidigungsformel „Nique ta mère“ – zu deutsch „Fick deine Mutter“). Und auch die Querelen um das Stück „Brigitte, femme de flic“, in dem die Rap-Posse Ministère A.M.E.R. recht detailliert ihr fiktives Verhältnis mit einer Polizistengattin schildert, dürfte deren Bekanntheit nur noch weiter befördert haben.

Keine Frage, daß bei solch publicityträchtigen Provokationsstrategien das US-amerikanische Modell Gangsta-Rap Pate stand. In Abgrenzung zu MC Solaar, der schon mal Rousseau zitiert oder Gainsbourg sampelt, sucht die Mehrheit der französischen Rapper ganz unverhohlen die Nähe zu amerikanischen Originalen. Ministère- A.M.E.R.-Rapper Stomy Bugsy etwa sieht nicht von ungefähr aus wie ein Snoop-Doggy-Dogg- Klon. Und sein Kollege Busta Flex heißt tatsächlich so, weil ihm Busta Rhymes so imponiert hat.

Die französische MC Lyte nennt sich Lady Laistee. Obwohl sie aus dem Pariser Vorort Sarcelles stammt, dem gleichen Bezirk wie Ministère A.M.E.R., gehört sie nicht der gleichen Rap-Schule an. Aus einem einfachen Grund: „Als ich am Anfang meiner Karriere stand, waren Ministère A.M.E.R. bereits en vogue. Persönlich kannte ich sie damals kaum.“ Mit ihrer Tanzgruppe L'Histoire d'Elles sammelte sie erste Bühnenerfahrungen, bevor sie sich Mitte der Neunziger zum Alleingang als Rapperin entschied: „Es sollte viel mehr Frauen im Rap geben. Aber natürlich möchte ich nicht anerkannt werden, weil ich eine Frau bin, sondern weil ich etwas zu sagen habe.“ Afro-Jazz, ebenfalls aus der Pariser Vorstadt, haben sich dagegen den New Yorker Wu-Tang Clan zum Vorbild erkoren. Gerade erst hat man in New York die Single „Strictly HipHop“ aufgenommen und es irgendwie geschafft, Ol' Dirty Bastard zur Teilnahme zu bewegen. Schon sitzen die Jungs stolz in ihren Plastikstühlen beim Interview, lächeln selbstgewiß und sagen über das Niveau des französischen HipHop: „Man muß sich nicht schämen. Die USA sind zwar die Meister der Materie. Aber Frankreich ist zur zweiten Heimat des HipHop geworden.“ Allerdings, mit der öffentlichen Anerkennung könnte es für Afro-Jazz noch besser laufen; mehr als die Single ist bisher noch nicht auf dem Markt.

Der Grund dafür liegt für sie auf der Hand: „Die Medien interessieren sich nur für einen versüßten Rap, einen Salon-Rap. Wir stehen für einen Rap, der hart bleibt, der von der Straße kommt und von den wahren Problemen handelt.“ Rap de la Rue also gegen den vermeintlichen Rap du Salon eines MC Solaar, der, ebenso wie die Sängerin Melaaz und Soon E MC, seiner ehemaligen 501-Posse, zwar auch aus einer Vorstadtsiedlung, nämlich Villeneuve Saint-Georges südlich von Paris, stammt. Der aber den gepflegten Gentlemen- Groove eingeführt hat und damit seither in der Hardcore-Rapszene als bestgehaßter Mann gilt. Oder auch Rap de la Rue als galliges Gegenmittel gegen den allzu optimistischen „Rap YéYé“ à la Alliance Ethnik oder Ménélik. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht – kommerzieller Sound geht durchaus mit kritischen Inhalten. Und eine ausgeprägte Antihaltung führt auch in Frankreich nicht selten geradewegs zur ersten goldenen Schallplatte.

IAM zum Beispiel kann man eigentlich nicht vorwerfen, sich dem Erfolg mit aller Kraft entgegengestreckt zu haben. Trotzdem sind sie inzwischen zu den wahren Herrschern des französischen HipHop-Mikrokosmos aufgestiegen. Ihren einzigen wirklichen Hit verbuchten sie 1994 mit der lokalpatriotischen Marseille-Hymne „Le Mia“; für das dazugehörige Doppelalbum „Ombre est lumière“, randvoll mit vierzig Stücken, wurde die Band ein Jahr später zur „Gruppe des Jahres“ gewählt. Seither umgibt die sechsköpfige Supergroup, die sich zuletzt zunehmend in Soloprojekten zerstreute, eine Art Mythos: Trotz kryptischer Symbolik, seltsamen Pseudonymen und anderen Formen der Unzugänglichkeit ist es ihnen gelungen, den Mainstream- Markt zu erobern und für französische Verhältnisse fast schon Wu- Tang-Clan-Format zu erreichen.

Zum Abschluß des „Printemps de Bourges“ traten IAM in der größten Spielstätte des Festivals auf, vor rund fünftausend Fans. Die Bühne im Stil eines Shaolin- Klosters, mit Säulen und großem Tor in der Mitte, bot die passende Kulisse zur theatralischen Inszenierung IAMscher Allmachtsfantasien, derweil über schüsselförmige Videoleinwände Filmsequenzen flimmerten, die vom harten Leben in der südfranzösischen Mittelmeermetropole zeugten: Hochhaussilos bei Tag und Polizeieinsätze bei Nacht, alles im halbdokumentarischen Handkamerablick. Ist das womöglich die IAM- Idee – eine Melange aus Trivialmythen und Reality-TV aus dem mediterranen Krisengebiet, aus Kung-Fu-Film-Verweisen, Playstationfantasien, diffusem Mystizismus und Ennio-Morricone- Samples?

Am Nachmittag vor dem Auftritt luden Kheops, Imothep, Shurik'N, Akhenaton, Malek und Kephren – die selbstgewählten Namen sind pharaonischen Ursprungs – schon einmal die Weltpresse zu sich, ins beste Hotel am Platz, um Rede und Antwort zu stehen. Doch weil man noch nicht so ganz wach war, daher auch nicht fotografiert werden wollte, entpuppte sich das Gespräch als recht zähe Angelegenheit. Erst als es um den Aufstieg der Front National im Süden Frankreichs geht, kommt etwas Bewegung in die HipHop-Bruderschaft.

Frontmann Shurik'N sagt: „Wir hätten das auch nicht für möglich gehalten vor zehn Jahren. Es gibt Leute, die ich kenne und grüße, wenn ich sie auf der Straße treffe, und sie wählen FN.“ Malek sagt: „Wir verstehen das auch nicht.“ Und Imothep fügt hinzu: „Unser Standpunkt ist klar: Die Jungen sollen sich in die Wahllisten eintragen und wählen gehen, denn das ist die letzte Möglichkeit einer demokratischen Lösung. Sonst driftet alles in Richtung Sarajevo. In Marseille ist doch jeder schon bewaffnet.“ Die IAM-Devise also: Abwarten und Tee trinken.

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