Gnadenloser Schwachsinn

■ betr.: „Die Kunst der Versoßung“ von Christiane Grefe, taz vom 15. 4. 98

Seien wir doch stolz darauf, daß unsere Kinder begriffen haben, wie der Hase läuft. Auf Werbung reagieren sie, wie von den Werbemachern gewünscht: Ginge es nach ihnen, würden sie die Wirtschaft kräftig ankurbeln. Sie würden schaffen, was keinem Politiker gelingt.

Sie tun, was jeder Erwachsene sich wünscht: Sie nehmen sich ihre Umwelt zum Vorbild. [...]

Viel schlechter ist unsere Welt wahrscheinlich wirklich nicht geworden. Nur etwas voller. Und die Helden unserer Kleinen kommen heutzutage nicht mehr mit einem blauen Auge davon, sondern wenn sie Glück haben, sind sie nur halb tot. Außerdem kriegen wir heutzutage nun mal nicht mehr nur noch die Geschehnisse aus unserer eigenen Umgebung von den Tratschtanten erzählt, nein, wir erfahren gleich zum Frühstück, was gestern in Hintertupfing los war und daß sich in Berlin auch mal wieder einige geprügelt haben.

Es ist schon alles ganz richtig, was Christiane Grefe so von sich gibt. Doch wer sich nicht mittenrein hängt, hat immer noch gute Chancen, verschont zu bleiben von der bösen Welt.

Das einzige, was mir wirklich angst macht, vor allem wegen meinem kleinen Bruder, ist, daß heute gleich Messer und Pistolen mit von der Partie sind, wenn irgendwem irgendwas nicht paßt. Da sollte vielleicht doch etwas geschehen. Wer fängt an? Katharina Hirsch, Berlin

Im delirierenden Fieber ihres Aktientaumels beginnen die bürgerlichen Ideologen allmählich, Symptome offenen Wahnsinns zu entwickeln. Wenn die Spiegel- Redaktion „Aggressions-Screenings“ für Zweijährige will, sollte man sämtliche Spiegel-Redakteure zu einem Debilitätstest abkommandieren. All die „kleinen postmodernen Scheißerchen“ (Robert Kurz) kriechen aus ihren Löchern und beglücken die Welt mit ihrem gnadenlosen Schwachsinn. Das alles natürlich im Namen der Profitrate und der grenzenlosen Herrschaft der Wallstreet. [...]

Im Namen des „shareholder value“ führt die Bourgeoisie Krieg gegen alle und jedes: gegen alleinstehende Mütter, gegen Obdachlose, Penner, Ausländer und nicht zuletzt gegen Kinder. Es wird noch so weit kommen wie in Rio: Dort werden Killerkommandos von Geschäftsleuten bezahlt, um die Straßen von obdachlosen Kindern zu „säubern“. Vom vielbeschworenen „Sicherheitsbedürfnis der Bürger“ (Wer ist das eigentlich? Sind Obdachlose etwa keine Bürger?) bis zum Schlagetot ist nur ein Schritt. [...] Derweilen bejubelt die bürgerliche Journaille das im Wirtschaftsteil, was sie im Feuilleton bejammert. Karrieristen und Speichellecker aller Couleur werden uns noch ganz andere Stories auftischen, um ihre faschistische Mentalität hinter „FaktenFaktenFakten“ zu verbergen.

Und dazwischen die Grünrealo- taz in ihrer rührenden Hilflosigkeit. Man will ja nicht autoritär sein, aber ein bißchen Autorität hat noch nicht geschadet. Der Grenzenlosigkeit des Kapitals werden die „Grenzen der Erziehung“ entgegengesetzt. [...] Und das alles natürlich im Namen des „Kommunitarismus. Einer der US-amerikanischen Obergurus des Kommunitarismus, der Soziologe Amitai Etzioni, hat neulich gegen Obdachlose und Straßengangs „Internierungslager“ empfohlen. Tja, da endet der „Gemeinsinn“ des delirierenden Besitzbürgers: im KZ. Das hatten wir doch alles schon mal, oder? [...] Kurt-Werner Pörtner,

Rüdesheim