: Albanische Dörfer unter Beschuß
Im Kosovo an der Grenze zu Albanien kommt es immer wieder zu Schießereien zwischen Albanern und serbischen Soldaten. Von Aktivitäten einer organisierten albanischen Untergrundarmee ist jedoch nichts zu sehen ■ Aus Decani Erich Rathfelder
Der Informant in Priština senkt seine Stimme. „Es gibt in Decani schon albanische Untergrundkämpfer in Uniform. Die treten dort offen auf. Es kommt zu einem regelrechten Kampf zwischen den Albanern und den dort massierten serbischen Truppen.“ Hunderte von Kosovo-Albanern, die in Albanien ihr militärisches Training abgeschlossen haben, kämen täglich über die Berge und die Grenze nach Kosovo. Und sie bestimmten jetzt schon die Gesetze des Handelns. „Die Serben können nur noch reagieren, die ansässigen Serben fliehen vor den Albanern.“
Ein regelrechter Krieg soll in der Region Decani und Djakovica, die direkt an der albanischen Grenze gelegen ist, begonnen haben. In dieser Situation hält die serbische Regierung ein Referendum über eine internationale Vermittlung in der Kosovo-Krise ab. Doch die albanische Bevölkerungsmehrheit in der serbischen Provinz boykottiert die Volksabstimmung.
Die Straße von Peja (Pec), der zweitgrößten Stadt des Kosovo, nach Djakovica schlängelt sich durch die Ebene, die am Fuße hoher und schneebedeckter Berge gelegen ist. Diese Berge stellen die Grenze zwischen Kosovo und Albanien dar. Hier sollen die Guerilleros einsickern. Schon nach wenigen Kilometern ist die Spannung fühlbar. Ein Automechaniker berichtet von Schießereien. Die Dörfer Barbaloq und Gamoqel seien unter ständigen Beschuß geraten. Von einer Kosovo-Armee jedoch will er nichts wissen. „Die Albaner dort sind unbewaffnet.“
In Decani sind schwerbewaffnete serbische Soldaten an einer Kreuzung stationiert. Lässig an ein Geländer gelehnt, beobachten sie den Verkehr. Offenbar befürchten sie auch keinen Anschlag der „Befreiungsarmee des Kosovo“. „Es ist hier ruhig.“ Sie kontrollieren nicht einmal die Papiere.
Nusa Berisha dagegen ist sehr ernst. Der Menschenrechtsbeauftragte der kosovoalbanischen Regierung in Decani bestätigt, daß die serbische Armee auf einem Hügel über den Dörfern um Babadoq Stellung bezogen habe und mit schweren Waffen auf die umliegenden Dörfer schieße. Die albanische Bevölkerung sei zum größten Teil geflohen. Die Serben nahe der Ortschaft Babaloq, 123 Familien, lebten nach wie vor in einer Neubausiedlung und seien nicht geflohen, aber am vergangenen Mittwoch von der serbischen Armee bewaffnet worden.
Bald ist das umkämpfte Gebiet erreicht. Das Dorf Hereq liegt nur drei Kilometer von Babaroq entfernt. Nur Männer sind auf der Dorfstraße anzutreffen. „Die Frauen und Kinder sind geflohen, sie sind jetzt in sicheren Gebieten“, sagen sie. Während der gesamten Nacht sei auf Babaroq geschossen worden, auch auf dieses Dorf, jedoch lediglich mit Maschinengewehren. Flüchtlinge aus Babaroq hätten berichtet, daß acht Häuser zerstört worden seien.
Es ist still. Kein Schuß ist heute zur Mittagszeit zu hören. Doch die Männer sind auf der Hut. Auf dem nahe gelegenen kahlen Hügel sind deutlich serbische Soldaten zu erkennen. Keiner der Männer trägt Waffen. „Es kann schon sein, daß die Männer aus Babaroq zurückgeschossen haben.“ Womit? „Na ja, manche haben Pistolen, andere Jagdgewehre. Es sind alles Leute aus dem Dorf.“ „Von einer Befreiungsarmee wissen wir wissen nichts.“ Ist hier tatsächlich eine Untergrundarmee aktiv? Würden sich in diesem Fall die serbischen Soldaten auf dem Hügel so frei bewegen? Südlich von Dajkovica in der Nähe des Dorfes Bec ist es sogar möglich, in die Stellungen einer serbischen Armee-Einheit zu fahren. Die Soldaten grüßen freundlich. Ein Panzer ist auf dem Hügel in Stellung gegangen, dahinter zwei Haubitzen vom Kaliber 81 mm. Sie zielen auf einen gegenüberliegenden Hügel. Dort, so sagt der Kommandant, hätten sich die Albaner verschanzt, bisher jedoch nur manchmal geschossen. „Schwere Waffen haben die nicht.“ Unten im Tal liege ein serbisches Dorf. „Deshalb sind wir hier. Wir machen hier nur ein Manöver.“
In einem Nachbardorf erklären die Albaner, die serbische Einheit hätte eine Stunde zuvor auf den Hügel geschossen. Jetzt sei Ruhe. Frauen und Kinder würden zu Verwandten nach Djakovica gebracht. Von bewaffneten albanischen Truppen wüßten sie nichts. Auf dem Rückweg nach Pec wollen serbische Polizisten die Papiere sehen. Sie führen ohne besondere Schutzmaßnahmen in Djakovica herum, sagen sie. „Hier ist keine Gefahr.“ Gibt es die albanische Untergrundarmee? Sie zucken mit den Achseln. „Vielleicht, hier jedoch haben wir alles im Griff.“ Der Informant aus Priština hat wohl Gerüchte gestreut. Oder der Schein trügt.
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