■ DänInnen streiken für mehr Urlaub – nicht für mehr Lohn: Ein Ruf nach mehr Freiheit
Der Großstreik, der Dänemarks Wirtschaft seit gestern fast vollständig lähmt, dürfte in die Geschichte eingehen. Zum ersten Mal hat ein umfassender Konflikt auf dem Arbeitsmarkt ein besseres Familienleben zum Ziel. Die DänInnen streiken nicht für mehr Lohn, sondern für mehr Zeit für ihre Kinder und ihre Familie. Wie ernst es ihnen damit ist, hatten weder ihre Gewerkschaften noch die Arbeitgeber, noch die Regierung so richtig verstanden. Bis am Freitag vergangener Woche die Nachricht wie eine Bombe einschlug, daß 55 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder das von ihrer Führung ausgehandelte Tarifkommen ablehnten. Den freien Heiligabend hatte man ihnen als großen Verhandlungserfolg für mehr Freizeit zu präsentieren gewagt. Eine Provokation.
149.034 ArbeitnehmerInnen, die mit ihrer Neinstimme dafür gesorgt hatten, daß sich jetzt in Dänemark kaum ein Rad mehr dreht, haben dabei nur ernst genommen, was die PolitikerInnen ihnen in Wahlreden vor ein paar Wochen versprochen hatten: Flexiblere Arbeitszeit stehe auf der Tagesordnung, eine bessere Vereinbarung von Familien- und Arbeitsleben, mehr Lebensqualität für die fleißigen DänInnen. Die können sich nämlich über eine Ökonomie freuen, die von der Arbeitslosenrate her am unteren Ende der EU-Statistik liegt und als Vorbild für die Rest-EU präsentiert wird. Ein Grund mehr, die PolitikerInnen beim Wort zu nehmen.
„Das ist die Folge des massiven Einzugs der Frauen in das Arbeitsleben“, analysierte Ex-Sozialminister Bent Hansen die Gewerkschaftsniederlage. „Das Problem, Arbeit und Familie zu vereinbaren, ist so groß geworden, daß es reicht, einen Großkonflikt auszulösen.“ Nicht mehr Kampf ums Geld stehe an, sondern Kampf um Zeit. „Die Familienpolitik wird das große Thema des nächsten Jahrzehnts sein“, hängte Ministerpräsident Nyrup Rasmussen sein Mäntelchen auch gleich in die aktuelle Windrichtung und verdonnerte die Tarifparteien zu neuen Verhandlungen. Die Streikenden werden den Einstieg in die sechste Urlaubswoche und in ein flexibleres, familienfreundlicheres Arbeitszeitsystem bekommen. Bevor dies nicht unter Dach und Fach ist, brauchen ihre Gewerkschaften den Streik gar nicht erst abzublasen. Für die Streikforderungen könnte es nämlich kaum einen günstigeren Zeitpunkt geben als einen Monat vor dem 28. Mai, an dem über den EU-Vertrag von Amsterdam volksabgestimmt wird. Wird den ArbeitnehmerInnen nicht schnell ein annehmbares Resultat präsentiert, könnte sich der Frust der DänInnen ein weiteres Mal Luft machen: diesmal gegen die EU. Reinhard Wolff
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