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"Ostwähler reagieren heftiger"

■ Die CDU muß ihre Strategie ändern, der SPD droht Ernüchterung, lautet die Bilanz der Forschungsgruppe Wahlen nach dem Urnengang in Sachsen-Anhalt. Keine Testwahl für Bonn

Hamburg/Mannheim (dpa) – Warum profitierte die SPD in Sachsen-Anhalt angesichts der weitverbreiteten Unzufriedenheit mit der Bundesregierung nicht stärker von den Verlusten der CDU bei der Landtagswahl am vergangenen Sonntag? Dieser Frage geht die Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen in ihrer traditionellen Wahlanalyse nach. Sie sieht in dem Urnengang vom Sonntag keine Testwahl für Bonn, „noch nicht einmal eine für den Osten“. Die Erfolge der rechtsextremen Deutschen Volksunion (DVU) resultierten vor allem aus der ökonomischen Unzufriedenheit, heißt es in dem Papier vom Montag, das hier im Wortlaut dokumentiert ist:

„Der Einbruch der CDU, das Erstarken der radikalen Parteien, die zusammen 33,2 Prozent erreichen, und die Stagnation von Rot- Grün sind vor allem auf die äußerst schlechte ökonomische Situation im Land sowie auf bundespolitische Einflüsse zurückzuführen. So bezeichnen 85 Prozent der Wählerinnen und Wähler die Bundespolitik für ihre individuelle Wahlentscheidung als wichtig oder sogar sehr wichtig.

Schuld sind Ökonomie und Bundespolitik

Dementsprechend konnte auch die SPD vor allem deshalb ihr bestes Ergebnis in Sachsen-Anhalt erzielen, weil sie von der für sie günstigen bundespolitischen Stimmung profitierte. Landespolitisch konnte sie dagegen ebenso wie der Ministerpräsident kaum positive Akzente setzen. Besonders deutlich wird dies bei der Beurteilung der Arbeit der Landesregierung, die auf der +5/-5-Skala nur einen äußerst schwachen Wert von plus 0,2 erhält.

Die besondere Situation des Ostens wird in keinem der neuen Länder so deutlich wie in Sachsen- Anhalt (Arbeitslosenquote 24,1 Prozent). So meinen 52 Prozent der Sachsen-Anhaltiner, daß es ihrem Land wirtschaftlich schlechter geht als den anderen neuen Bundesländern (besser: neun; kein Unterschied: 33 Prozent). Nur zwei Prozent beurteilen die allgemeine Wirtschaftslage im Land als gut, 33 Prozent bewerten sie als teils gut, teils schlecht, mit 64 Prozent hält aber die große Mehrheit der Befragten die ökonomische Situation für schlecht. Vor vier Jahren hatte mit 57 Prozent immerhin noch die Mehrheit die wirtschaftliche Lage als teils gut, teils schlecht bezeichnet, nur 38 Prozent hielten damals die Situation für schlecht.

Die prekäre Situation und das Empfinden vieler Menschen im Lande, zu den ökonomischen Verlierern zu zählen, hat den Erfolg der rechtsextremen DVU ermöglicht. Deren Wähler sind noch viel häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen als die der anderen Parteien, und selbst wenn sie einen Job haben, fürchten sie sehr viel häufiger als andere, ihn zu verlieren. Auch ihre eigene wirtschaftliche Situation beurteilen sie überdurchschnittlich häufig als schlecht. Vor allem: sie haben die Hoffnung verloren, daß sich das alles bessern wird.

Es sind vor allem die jüngeren Wähler, die zur DVU gekommen sind: 30 Prozent der unter 30jährigen haben die DVU gewählt, junge Männer noch häufiger als junge Frauen. In der Altersgruppe der unter 30jährigen ist die DVU klar die stärkste Partei vor der SPD (22 Prozent). Dabei konnte die DVU besonders viele gewinnen, die beim letzten Mal der Wahl ferngeblieben waren. Daß es sich bei der ganz überwiegenden Mehrheit der DVU-Wähler um Protestwähler und nicht um Neonazis handelt, zeigt die Analyse des Stimmensplittings: So haben 20 Prozent der DVU-Wähler den CDU-Kandidaten gewählt, 22 Prozent den SPD- und sogar 23 Prozent den PDS- Kandidaten, drei Prozent den Grünen- und neun Prozent den FDP- Kandidaten. Die DVU selbst war in keinem Wahlkreis in der Lage, eigene Kandidaten aufzustellen.

Auch die PDS konnte wieder von dieser Unzufriedenheit profitieren. Die Tatsache, daß die PDS bei der jetzt deutlich gestiegenen Wahlbeteiligung ihr Ergebnis fast halten konnte, macht sie zu einem Gewinner der Wahl, sie hat jedoch ihr Monopol verloren, die Unzufriedenheit im Osten allein zu vertreten.

Auch die PDS profitierte von der Unzufriedenheit

Die Grünen sind bei einer Dominanz ökonomischer Themen im strukturschwachen Osten mit ihren ökologischen Positionen ein weiteres Mal gescheitert. Die FDP konnte nicht den Nachweis erbringen, daß sie für eine Koalition gebraucht wird. Grüne und FDP haben zudem mit der Forderung nach einer Benzinpreiserhöhung bzw. der Abschaffung des ,Soli‘ nicht gerade wahltaktische Meisterleistungen vollbracht.

Für das Fiasko der CDU müssen neben den bundespolitischen Einflüssen und den schlechten Noten für den Kanzler auch landespolitische Faktoren zur Erklärung herangezogen werden. Dazu gehört vor allem auch das schwache Profil des CDU-Spitzenkandidaten Christoph Bergner, den 44 Prozent der CDU-Wähler nicht namentlich kannten. Die CDU im Land wird mit minus 0,3 sogar noch schlechter beurteilt als die Bundes-CDU (0,0). Ihr wird selbst in Bereichen, in denen sie sonst die größeren Kompetenzen hat, kaum etwas zugetraut: wie bei der Wirtschaftskompetenz (18 Prozent CDU im Vergleich zu 35 Prozent für die SPD) oder bei der Kriminalitätsbekämpfung (zehn zu 18 Prozent). Am stärksten fallen die Verluste der CDU bei den Arbeitern aus, bei denen sie das letzte Mal noch ebenso stark war wie die SPD. Damit haben sich die Strukturen ein weiteres Mal dem westdeutschen Muster angeglichen.

CDU-Wähler kannten ihren Spitzenmann nicht

Angesichts der großen Unzufriedenheit mit der Bundesregierung hätte die SPD viel stärker von den massiven Verlusten der CDU profitieren müssen. Statt dessen hat sie gerade bei der Arbeiterschaft nur unterdurchschnittlich zugelegt. Aber auch insgesamt entspricht das Ergebnis für die SPD nicht ihrem Bundes-Hoch seit der Nominierung von Gerhard Schröder. Insofern muß nicht nur die CDU ihre Strategie im Hinblick auf die Bundestagswahl überdenken, auch bei der SPD wird Ernüchterung einsetzen.

Dennoch war diese Wahl keine Testwahl für Bonn, noch nicht einmal eine für den Osten. Zu schwach waren die etablierten Parteien und ihre Spitzenkandidaten im Land. Dies hat es erst ermöglicht, daß die DVU von der ökonomischen Hoffnungslosigkeit profitiert hat und neben der PDS eine zweite Partei im ostdeutschen Parteiensystem auftaucht, die vom Protest lebt. Auch die deutlich gestiegene Wahlbeteiligung zeigt, daß im Osten Deutschlands die Wähler in jeder Hinsicht heftiger reagieren als im Westen.

Die Wahlbeteiligung fiel mit 71,7 Prozent (plus 16,9) deutlich höher aus als 1994, sogar höher als bei der Bundestagswahl. So stellen sich die Veränderungen bei den Parteien etwas anders dar, wenn man die absoluten Stimmenzahlen betrachtet. So gelang es der SPD mit 150.028 Stimmen mehr als 1994 deutlicher hinzuzugewinnen, als es der Zuwachs um 1,9 Prozentpunkte erscheinen läßt. Ebenfalls deutlich ist die Zunahme bei der PDS mit 68.028 Stimmen, auch die FDP kam auf 22.635 Stimmen mehr; Verluste hingegen bei der CDU (minus 61.248) und bei den Grünen (minus 9.271).“

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