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Kohl ist Gefangener

■ Jeder kann was bewegen. Eine kleine Studie zur neuen Selbständigkeit in Selbstaussagen

Michael Hauke alias M. West ist Künstler und Unternehmer. Er vertritt eine weitgefaßte Theorie der Selbständigkeit. Hauke malt, schafft Skulpturen und schreibt Kurzgeschichten, Romane und Drehbücher, die bisher nicht veröffentlicht wurden. Vor einigen Jahren erlangte der heute 50jährige kurzzeitig eine etwas fragwürdige Berühmtheit. Hauke stand wegen Kunstfälschung – Warhol, Haring, u.a. – vor Gericht. Das folgende Gespräch fand in der Eisdiele des neu eröffneten „Gesundbrunnen-Centers“ im Berliner Bezirk Wedding statt. Michael Hauke plant eine Skulptur, die vom Einkaufszentrum aufgestellt werden soll. Am Tag zuvor hatte er gerade mit der Bauleitung telefoniert.

„Ich zünde mir jetzt erst mal eine Zigarette an. Ich hab' nämlich für den „West“-Inhaber Reemtsma eine neue Marke erfunden, mit Logo und so. Schon vor längerer Zeit: M. West's City Lights. Die hab' ich dem jetzt auch angeboten. Hat aber bisher noch nicht reagiert, wie üblich. Aber es gibt ja noch andere Zigarettenfirmen. „City Lights“, klingt doch richtig toll! M. West ist mein Pseudonym, das lass' ich mir auch als Künstlername in Paß und Ausweis eintragen. Aber die zieren sich noch: Man muß was veröffentlicht haben oder so. Wenn das jetzt mit dem Fernsehfilm klappt oder der Fernsehserie oder der Skulptur, dann werden sie wohl, ... aber ich möchte es eigentlich schon jetzt. Weil ich selbst bestimme, ob ich Künstler bin oder nicht. Und nicht die Polizei.

Ich bin ja auch bei der Telekom als M. West eingetragen. Das ist doch gold, oder? Kann ich zu jedem sagen, kiek mal, die Reklame: West, so heiße ich. Ich hab' das ja auch mit Reemtsma abgeklärt. Passiv sozusagen. Ich hab' denen zweimal Telegramme mit Durchschlag geschickt, und sie haben nichts Gegenteiliges verlauten lassen. Nur, meine Telefonrechnung hat zweieinhalbtausend Mark. Die Kohle, um das zu bezahlen, habe ich leider nicht. Da werde ich mit der Telekom jetzt mal verhandeln: guter Kunde und so. Die goldene M.-West-Leitung muß bleiben. 030/4976594. Darum möchte ich auch dieses „Start-up“ haben: Die Sparkasse, der Stern und McKinsey beurteilen nämlich Konzepte von Unternehmensgründern. Ein Wettbewerb. Und die haben mich vorgestern angerufen und nach meiner Teilnahmenummer gefragt. Ich bin also wohl in der engeren Auswahl. Sechzigtausend Mark Darlehen bräuchte ich, hab' ich denen geschrieben. Um mir eine Sekretärin nehmen zu können, Miete zu bezahlen, ein Fax. Metallskulpturen, meine Drehbücher, das möchte ich im Gang halten.

Und die Telefonkosten. Ich rufe jeden an, der mit mir spricht. Das kann jeder machen. Kostet aber Geld. Die Wirtschaft? Da rufe ich direkt an. Ich habe letztens mit einem Typ vom Bankverein gesprochen, in Berlin, mit dem Chef oder so. Ich habe ein Gespräch mit ihm darüber geführt, warum die Banken das viele Geld haben und keine Kredite gegeben werden. Der hat mir die ganzen wirtschaftlichen und globalen Zusammenhänge erklärt. Ich hab' auch letztens bei der B.Z. angerufen und denen gesagt, daß das mit den Bildern auf Puff-Niveau nicht geht. Und seit einer Woche haben die nur noch schicke Schauspielerinnen in der Zeitung. Jeder kann was bewegen. Wichtig ist: Man muß selbständig sein. Man ist ja sonst immer nur Sklave – beim Arbeitgeber, bei Mutti, beim Lehrer, zu Hause bei der Braut. Aber man muß versuchen, alleine durchzukommen. Selbständig. Unternehmerisch gesehen: Mach dich selbständig. Es liegt doch an jedem einzelnen, denn die da oben machen gar nichts, sind doch selber Gefangene. Helmut Kohl ist Gefangener von Hannelore Kohl, vielleicht. Und umgekehrt, sie von ihm.

Das ist eine Botschaft. Kunst hat doch immer eine Botschaft. Bei mir kommt aber auch das Unterbewußtsein raus. Da gibt es ganz reale Ergebnisse. Zum Beispiel ist mir Rudolf Scharping rausgerutscht, als ich Helmut Kohl zeichnen wollte. Wirklich. Bei Ali im Laden, in der Lehrter Straße, ist das passiert. Ganz bestimmt, es war so: Eigentlich wollte ich Ali zeichnen, aber dann habe ich gedacht, vielleicht doch lieber Helmut Kohl. Als ich dann zu Hause mit Brille die Zeichnung angesehen habe, war daraus tatsächlich ein trauriger Rudolf Scharping geworden.“

Aufgezeichnet von

Kolja Mensing

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