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Input von außen

■ Was Architektur ist, lernt man auf verschlungenen Berufswegen. Zwei Beispiele

Sie wollen ein großer Architekt werden? Dann brauchen Sie, so will es das Standesrecht, ein Diplom. Erwerben können Sie das im mindestens vierjährigen „Projektstudium“ an fast drei Dutzend deutschen Hochschulen. An Entwurfsaufgaben lernen Sie, welche Anforderungen an ein Bauwerk gestellt werden und wie sie planerisch zu bewältigen sind. Das Studium führt geradewegs zum Metier. Deshalb werden Sie schlimmstenfalls Ihre Pläne einfach mit den trendigen Architekturbildern schmücken, die Ihnen Zeitschriften bieten. Günstigenfalls reichern Sie Ihre Entwürfe mit den Gedanken ihrer Fachplaner an. Etwa so wie das überaus erfolgreiche Büro von Gerkan Marg und Partner, das seine eher biederen Entwürfe, wie beim Lehrter Bahnhof, mit Hilfe genialer Tragwerksingenieure zur Architektur „unter großen Dächern“ hochrüstet. Was Architektur ist, lernen Sie nicht durchs Studium, sondern auf viel verschlungeneren Berufswegen. Bestenfalls können Sie Ihr Handwerk mit Erfahrungen aus dem Leben zur Kunst überhöhen.

Diesen Weg haben zwei beschritten, von deren Bauten heute wesentliche Impulse ausgehen: Daniel Libeskind und Rem Koolhaas. Beide wollten ursprünglich ganz etwas anderes werden. Ihre Biographien prägt, was auf den ersten Blick nichts mit Architektur zu tun hat, ohne das jedoch ihre Arbeit nicht zu verstehen ist.

Rem Koolhaas hat sich nach eigenen Aussagen „der Programmierung durch Studiengänge entzogen“. Er wurde in Rotterdam geboren, ist in Djakarta aufgewachsen, hat in London und New York studiert. Schon bevor er Architekt wurde, war er ein überstimulierter, ständig Reisender, ein Wegwerfkonsument. Heute ruft er von Paris aus Tokio an. Am nächsten Tag ist er in Fukuoka, dann in Lille. Und er entwirft auch so. Nie sucht er den Bezug zum Ort, egal ob in Hongkong, Den Haag oder Berlin. Nie wiederholt er, nie entspricht er traditionellen Schönheitsidealen. Er vergöttert Tankstellen, Motels, Sexshops, die überall nach den gleichen Gesetzen funktionieren, arbeitet mit den Chiffren der schnellebigen, globalen Massenkultur. Aus seinen Erfahrungen destillierte er 1995 „S, M, X, XL“, ein Werk, in dem die Welt wie ein Warenhauskatalog erscheint.

Worte und Bilder bestimmen Koolhaas stärker als die traditionellen architektonischen Kategorien Körper und Raum. Er begann als Journalist und Drehbuchautor. Für die niederländische Tageszeitung Haagse Post berichtete er von den 68er-Unruhen aus Paris. Für den amerikanischen Titten-Regisseur Russ Meyer verfaßte er Filmszenarien. Bevor er ein berühmter Baumeister wurde, war er ein berühmter Buchmacher. 1978 entschlüsselte er „Delirious New York“ mit manifestartigen Texten und poppig-poetischen Zeichnungen.

„Die Worte befreien den Entwurf“, sagt er, „unsere besten Projekte entstehen aus einer literarischen Konzeption heraus, aus der sich dann alles andere ableitet.“ Und so arbeitet Koolhaas wie manch ein Journalist: mit Übertreibungen, Gegensätzen, Metaphern. Weil weder Worte noch Bilder der Schwerkraft unterliegen, fällt die Konstruktion seiner Bauten kaum ins Gewicht. Das Material zählt nicht. Die leichte Dachschale seines Konferenzzentrums im Euralille ruht auf einem überdimensionierten Sockel. Rustikale Steine aus Plastik zeigen die vollkommen nutzlose Massivität. Weil Kraftausdrücke eher ausstrahlen als eingrenzen, sprengt Koolhaas traditionelle Raumgeometrien. Seine niederländische Botschaft in Berlin hat eine Ganzglasfassade. Gegensätze kollidieren. Wie Texte entwickeln sich seine Bauten nicht stereometrisch, sondern auf verschlungenen Pfaden. Bei seinem Pariser Uniprojekt gibt es kein Geschoß im traditionellen Sinn. Eine einzige Betonplatte windet sich durch die ganze Bibliothek: ein Irrgang durchs Wissen.

Ähnlich brüchig verlief der Lebensweg von Daniel Libeskind: Über seine architektonischen Lehrmeister an der Cooper Union in New York und der Universität von Essex spricht er nicht, um so mehr von seiner Vergangenheit. Er wurde 1946 im polnischen Lodz geboren. Sein Onkel hatte den Kampf gegen die SS im Warschauer Ghetto mit dem Leben bezahlt. Ein Großteil seiner Familie kam in den Vernichtungslagern um. Über Israel emigrierte er in die USA, kam später nach Berlin.

Seine jüdische Herkunft macht Libeskind heute zum Experten für entsprechende Bauaufgaben. 1993 sprengte er einen Wettbewerb in Oranienburg mit dem Vorschlag, auf dem Boden des Vernichtungslagers keine Wohnungen zu bauen, sondern eine Geschichtslandschaft zu inszenieren. Derzeit baut er in Osnabrück ein Museum für den jüdischen Maler Felix Nußbaum. Noch dieses Jahr wird in Berlin sein erster Bau, das Jüdische Museum, eingeweiht. Wie alle seine Bauten zeigt es Libeskinds Suche nach seiner eigenen Identität, nach Bezügen zur Vergangenheit. Da der gerade Lauf jüdischer Geschichte jedoch gewaltsam gebrochen wurde, bricht er mit traditionellen Gebäudeformen. Der Grundriß des Jüdischen Museums symbolisiert die Reste des Davidsterns. Durch diese umwegreiche Lebenslinie zieht sich eine gerade Leere, die den Verlust durch den Holocaust versinnbildlicht. Jedes der schnittmusterartigen Fenster sucht Verbindung zu den Orten, an denen jüdische Kultur einst stattfand.

Auf der Suche nach Bezügen geht Libeskind den einfachsten Weg, spannt Geraden in alle Richtungen. Im Gegensatz zur eigentlich räumlichen Architektur sind seine Gebäude eindimensional: Sie bestehen nur aus Linien, ihren komplexen Reiz gewinnen sie aus deren Überlagerung. Sie sind aufgebaut wie Musik, die Libeskind in Israel studierte, bevor er Architekt wurde. Mit elf Jahren besiegte er dort bei einem Wettbewerb Daniel Barenboim. Heute baut er das Musikon in Bremen.

Mit eigentlich Unarchitektonischem haben Libeskind und Koolhaas die Architektur bereichert. Dieses Paradox, das sich aus den Brüchen ihrer Biographien erklärt, hätte keine Universität der Welt vermitteln können. Ergo: Machen Sie was anderes! Am besten bevor Sie sich entscheiden, ein großer Architekt zu werden. Hans Wolfgang Hoffmann

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