16 Jahre Kohl haben alle Maßstäbe verrückt

■ betr.: „Blicke auf das grauenhafte Sein der Welt“ (Adorno und das Glück der Erhebung...), taz vom 22. 4. 98

Immer wieder überkommt mich Verzweiflung, wenn ich Artikel in der taz lese, die reichlich weit von dem entfernt sind, was in einer linken Zeitung stehen sollte oder könnte. [...] Auf Seite 1 der taz vom 22. 4. 98 heißt es richtig und kritisch, daß der Terrorismus-Begriff in den 80er Jahren immer stärker ausgeweitet und schon Werbung für und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung als Terrorismus unter Strafe gestellt wurde. Ein Beispiel für eine solche maßlose Ausweitung findet sich prompt auf Seite 19 in der Besprechung von Niels Werber. In der fünften Spalte heißt es da, daß Adorno in seiner Vorlesung 1965 die Studenten auf den Terrorismus vorbereitet hätte.

Auch wenn Herr Werber, wie er eigens betont, 1965 geboren wurde, ist das kein Grund, naiv oder historisch ignorant zu sein. Das Argument, die Kritische Theorie hätte den Terrorismus erzeugt, wurde seit 1968 von liberalen und rechten Gegnern vielfach gegen linke Gesellschaftskritik und die Kritische Theorie vorgebracht und immer wieder gegen sie wiederholt. Wiederholung macht es nicht wahrer, bewirkt aber, daß es selbst in einer linken Tageszeitung schließlich als neue Erkenntnis präsentiert werden kann.

In der Logik des Arguments könnte, insofern Adorno und die Kritische Theorie auf die Studentenbewegung erheblichen Einfluß gehabt hat, nicht nur die ganze Studentenbewegung als terroristisch kritisiert werden; konsequenterweise müßten gerade die Schüler Adornos besonders emsige Terroristen geworden sein. Dies war nicht der Fall.

Krahl, einer der Sprecher des Frankfurter SDS hatte damit gar nichts zu schaffen, Negt kritisierte die RAF vielfach öffentlich. Habermas charakterisierte zahlreichen Gruppen der Studentenbewegung wegen ihres Voluntarismus als linksfaschistisch. Es wäre auch angemessen, in einer so ausführlichen Rezension Adorno selbst ernst zunehmen. Er hat sich mehrfach ausdrücklich gegen den Terrorismus, gegen politische Gewalt und Aktionismus gewandt. Für das modische Idol Guevara hatte er nur Spott übrig. Im übrigen nicht, weil er besonders brav dachte, sondern weil er mit theoretischen Gründen der Überzeugung war, daß solche Handlungsweisen zur Emanzipation nicht beitragen würden.

Ist die Äußerung sachlich also falsch, so ist sie politisch auch zweifelhafter Art. Denn letztlich wird linke Gesellschaftskritik pauschal desavouiert. Der Rezensent beanstandet, daß Adorno zufolge in den westlichen Demokratien nur formale Freiheit herrsche und die Menschenrechte hinter ökonomischen Interessen zurückgestellt würden (vgl. Spalte 39), daß autoritätsstaatliche Entwicklungen zu beobachten seien. Das also hat – man stelle sich vor – Adorno gewagt zu beanstanden, das soll offensichtlich schon zum Terrorismus disponieren. 16 Jahre Helmut Kohl haben wirklich alle Maßstäbe verrückt, wenn eine solche Kritik in der taz beanstandet wird. Tatsächlich hat Adorno noch viel Kühneres gedacht, aber das liegt wahrscheinlich schon jenseits des Erkenntnis- und Kritikvermögens dieses Zeitalters. Fies ist die Behauptung von Herrn Werber, weil sie Intellektuelle, die an die ältere Kritische Theorie anknüpfen, dem Verdacht des Terrorismus aussetzt – mit den möglichen Konsequenzen, die mit einem ausgeweiteten Terrorismusvorwurf verbunden sind.

Sicherlich sollte die taz die ohnehin nicht allzu großen Bestände gesellschaftkskritischen Denkens in der Bundesrepublik kritisch aufarbeiten und diskutieren helfen; nicht jedoch solche demagogischen Artikel veröffentlichen, die zu der unterschwellig verbreiteten gesinnungsschnüfflerischen Haltung beitragen, daß eine Kritik an den Weisheiten von Sozialkundebüchern schon den Terrorismus zur Konsequenz hat. Solche Verdächtigungen können der FAZ überlassen bleiben. Alex Demirovic,

Frankfurt/Main

Was Werber zu weiten Teilen seiner Besprechung der Metaphysikvorlesungen Adornos schreibt, zeugt von Kenntnis und Zugang zur Sache. Leider widerruft dann der Schluß diese Annahme. Werber scheint vorm Problem eines zwanghaften Aktualitätsanschlusses resigniert zu haben, indem er diesen ohne Not übertreibt. Was nur haben Adornos Einlassungen zur alten Metaphysik überhaupt, und dann auch noch dies Junktim mit Auschwitz, das alle Philosophie danach bindet, mit dem Jahr 1998 zu tun? Von den möglichen Anschlußvarianten sucht sich der Rezensent eine Knallerbse heraus, die ihm freilich Aufmerksamkeit und Zuspruch versprechen soll. Adorno und der deutsche Terrorismus! Dieser Kurzschluß liegt vielleicht nahe. Gerade mal drei Jahre liegen zwischen den Vorlesungen und dem Brandanschlag auf ein Kaufhaus in Frankfurt, dann gut ein Jahr später die ersten Vorboten der RAF. Adorno lebte bis 1969. Also wird doch irgend eine Kontinuität zwischen kritischem Denken und diesen Aktionen herzustellen sein. Natürlich mußte Werber sich dabei nicht besonders bemühen. Vorbilder gab es bis zum Kalten Herbst von 77 genug. Freilich sind und waren derartige Kurzschlüsse bloßer Quatsch. Als politische Manipulationsinstrumente waren sie dagegen äußerst erfolgreich. Mich interessiert hier nicht die Verteidigung Adornos gegen solchen Blödsinn. Wenn es Werber aus einer ideologisch determinierten Moralität drängt, mag er unmittelbar Beteiligte kritisieren, sie nach Motiven oder was er will befragen. Aber Phrasen von „geistiger Urheberschaft“ und ähnliches sind sinnlos.

Nach genauer Lektüre der Metaphysikvorlesungen müßte dem Rezensenten die unmittelbare Nähe von Denken und Praxis zu denken gegeben haben. Adorno hat sowohl in diesen Vorlesungen als auch in den „Meditationen zur Metaphysik“ am Ende der „Negativen Dialektik“ – wozu die Vorlesungen ja augenscheinlich konkrete Vorstudien leisteten – aus unterschiedlichsten Perspektiven Denken als Verhalten und Tun, Anstrengung und Arbeit usw. beschrieben. Theoretische Arbeit ist Praxis, und, gerade bei Adorno, kaum verhüllte politische = gesellschaftliche. Und nebenbei: Wer könnte anders die publizierten Arbeiten Adornos et alii studieren und sich dabei, wenn's denn langt, über Anstrengungen natürlich, aufklären?

Praktischer braucht's nicht zu sein. Die Alternative, nach der Denken nicht mehr als eine Art Handlungsanleitung zum richtigen Tun sein sollte, etwa wie eine Betriebsanleitung zur richtigen Bedienung eines Staubsaugers, reduziert Denken aufs bloß technisch- instrumentelle Handeln. Das Tun, das Denken nur als Vorarbeit, die dann von den meisten Akteuren noch als erläßliche denunziert wird, betrachtet, ist nicht einmal Resultat eines stillgestellten Denkens, sondern dessen schlichtes Dementi. Oder auch: militante Blödheit.

Nun läßt die Darstellung von Werber ahnen, daß er das auch weiß. Ich vermute deshalb hinter seiner anti-intellektuellen Invektive das wohlkalkulierte Schielen nach Marktanteilen im intellektuellen Diskurs. Naheliegender Widerspruch wird evoziert, es kommen Reaktionen, also Leserbriefe, man wird zitiert und genannt; Anschlußaufträge sind gesichert. Aber warum nur mit solch plumpen Einwürfen? Edmund Friedrich, Hamburg