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■ Filmstarts à la carteUnd vor ihr das Nichts...

Termingerecht zur Renaissance des deutschen Schlagers präsentieren die Filmemacher Ulrike Franke und Michael Loeken einen Blick auf die Kehrseite der Frohsinnsindustrie, auf daß einem die Nußecken im Halse steckenbleiben: „Und vor mir die Sterne...“ dokumentiert das Leben der Sängerin Renate Kern, die 1965 ihre erste Platte aufnahm und einen letzten, endgültigen Schritt in ihrer Karriere im Jahre 1991 tätigte – mit einem Strick um den Hals ins Leere. Dazwischen lagen unter anderem Erfolge mit Schlagern wie „Du mußt mit den Wimpern klimpern“, eine kurzlebige Country-Karriere unter dem Namen Nancy Wood und ein längerer Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik. In Interviews mit Kollegen, Freunden und Verwandten entsteht das Porträt einer Frau, die dem Business nie gewachsen war: Von profunden Lebens- und Existenzängsten geplagt, verkroch sich die talentierte, aber schüchterne Sängerin am liebsten in ihrem Häuschen in der norddeutschen Provinz. Doch gerade Kerns Bodenständigkeit kam eine Zeitlang bei den Fans gut an: „Wildeshausen ist überall in Deutschland“, sagt einmal eine ehemalige Promotiondame von der Plattenfirma und meint das nicht einmal spöttisch. Wenn man dann sieht, was der Star ihrem Fan Rosi aus Erfurt bedeutete, gibt es auch keinen Grund mehr zur Überheblichkeit – und die kitschigen Schlagertexte scheinen von tieferen Wahrheiten zu künden. An anderer Stelle aber zeigt der Film, woran es Renate Kern letztlich mangelte, um in ihrem Beruf zu bestehen: am Drang zur Bühne und der Professionalität, mit der Showveteranen wie Peter Orloff und Rex „Hossa“ Gildo bei öden Einweihungspartys von ebenso öden Einkaufszentren das Schunkelbedürfnis ihrer geriatrischen Fans von der ersten Note an in den Griff bekommen. Auch das nötigt irgendwie Respekt ab. Man muß ja nicht gleich Fan werden.

7.–13.5. Filmbühne am Steinplatz,

Hackesche Höfe 2, Xenon

Aus ihrer Sympathie für die Zapatista-Rebellen und deren Kampf gegen Regierung und Großgrundbesitzer im Südosten Mexikos macht die kanadische Regisseurin Nettie Wild keinen Hehl, das stellt der Kommentar ihres Films „A Place Called Chiapas“ gleich zu Beginn klar. Zu Helden in Wilds Film avancieren jedoch nicht der legendäre Subcomandante Marcos und seine bewaffneten Mitstreiter, sondern Dorfbewohner aus Nordchiapas, die aus Angst vor der regierungstreuen paramilitärischen Gruppierung „Paz y Justicia“ in die Berge geflohen sind. Um den Waffenstillstand und die Verhandlungen mit der Regierung nicht zu gefährden, können die bewaffneten Rebellen nicht eingreifen – da erscheint auch Subcomandante Marcos ziemlich ratlos. Dessen Selbstinszenierungen verfolgt Wild den Film hindurch mit leisem Spott: Wenn man Marcos zum ersten Mal sieht, prescht er, vermummt und schwer bewaffnet, auf seinem Pferd wie ein mythischer Westernheld heran – direkt vor die klickenden Kameras der internationalen Presse, wie ein kleiner Kameraschwenk nach links alsbald belegt. Eine Fotosession für das französische Magazin Marie Claire, Autogrammstunden für die Kinder, das Bildnis des vermummten Revolutionärs als Schlüsselanhänger – der Revolutionschic treibt seltsame Blüten.

Gleichzeitig verdeutlicht „A Place Called Chiapas“ aber auch, daß die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit der einzige Schutz der Rebellen und der indianischen Bevölkerung vor den Übergriffen des Militärs und ihrer Verbündeten darstellt. So endete der Versuch der geflüchteten Dorfbewohner, in ihre Häuser zurückzukehren, nur deshalb nicht sofort in einem Blutbad, weil ihnen das Kamerateam der Dokumentarfilmerin als Sicherheitsgarantie diente.

7.–13.5. im fsk Lars Penning

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