piwik no script img

Dänische Regierung will Streik stoppen

Sozialdemokratische Minderheitsregierung greift per Gesetz in die Tarifautonomie ein. Steuererleichterungen für die Wirtschaft sollen zwei Tage mehr bezahlten Urlaub und drei Kinderbetreuungstage ermöglichen  ■ Aus Kopenhagen Reinhard Wolff

In den seit zehn Tagen andauernden Arbeitskonflikt hat die sozialdemokratische Regierung unter Ministerpräsident Poul Nyrup Rasmussen gestern mit der Vorlage eines Zwangsgesetzes eingegriffen. Wird dieses – wie aufgrund der Mehrheitsverhältnisse zu erwarten – in zweiter und dritter Lesung heute vom Parlament abgesegnet, ist der Streik, der das Land bisher weitgehend lahmgelegt hat, in der Nacht zum Freitag beendet. Vom Ergebnis her bekommen die ArbeitnehmerInnen zwar mehr Freizeit – in Form von zwei Tagen mehr Urlaub und einem dreitägigen „Vorsorgekonto“ zur Versorgung kranker Kinder –, müssen diese aber über Steuererleichterungen für die Wirtschaft indirekt weitgehend selbst finanzieren.

Der jetzt zum Gesetz erhobene Tarifvertrag entspricht bis auf die Finanzierungsumwege hauptsächlich dem von Arbeitgeberseite am Dienstag vorgelegten, von den Gewerkschaften aber abgelehnten Nachbesserungsangebot zum ursprünglichen Tarifvertrag. Nach Ablehnung dieses Vorschlags und der Ignorierung des Gewerkschaftsangebots auf Verlängerung des Tarifvertrags auf drei Jahre durch die Arbeitgeber galten die Verhandlungen als gescheitert. Die Tarifparteien hatten keine neuen Gespräche vereinbart, womit sie der Regierung die formale Voraussetzung zum Eingreifen boten.

Ministerpräsident Rasmussen begründete den vom Gesetzgeber eigentlich nur in Ausnahmen vorgesehenen Eingriff in die Tarifhoheit damit, daß die Konfliktparteien offenbar nicht in der Lage seien, sich zu einigen und fortgesetzte Streiks und Aussperrungen spätestens kommende Woche zu schweren Schäden für das dänische Gemeinwesen führen würden. Auch in Schweden sind die Auswirkungen des dänischen Streiks zunehmend zu spüren.

Rasmussens Regierung wollte auch vermeiden, daß der umstrittene Eingriff zeitlich noch näher an das Datum der EU-Volksabstimmung am 28. Mai heranrücken könnte. Der heutige Donnerstag ist der letzte reguläre Sitzungstag des Folketings vor der Volksabstimmung, da am Freitag in Dänemark ein Feiertag ist. Ein Warten bis zur kommenden Woche und die Notwendigkeit, das Parlament zu einer Sondersitzung zusammenzutrommeln, hätte den Arbeitskampf nur unnötig verlängert. Die Arbeitgeberseite war in Sachen Freizeit nur verhandlungsbereit im vom ursprünglichen Tarifvertragsentwurf vorgegebenen Rahmen. Demgegenüber glaubten die GewerkschaftsführerInnen nach der erlittenen Schlappe bei der Urabstimmung, nur mit einem wirklich aufgebesserten Verhandlungsergebnis antreten zu können. Unvereinbare Standpunkte, die letztendlich in einen wochenlangen Ausstand wie zuletzt 1985 zu münden drohten.

Die SozialdemokratInnen hätten wohl gerne selbst etwas mehr bei dem nachgebessert, was die Gewerkschaften in der ersten Runde versäumten. Doch die Mehrheit im Parlament kann sich die Minderheitsregierung nur mit einem Gesetz sichern, das gerade dies nicht beinhaltet. Die Sozialistische Volkspartei und die Einheitsliste sind nämlich gegen einen gesetzlichen Eingriff. Rasmussen muß sich deshalb heute seine Mehrheit bei der Rechtsopposition, von den Konservativen bis zur rechtsextremen Dänischen Volkspartei suchen. „Wir befinden uns haarscharf an der Grenze des Zulässigen, denn wir können keiner Seite mehr geben, als sie in den Verhandlungen erreicht hat“, so Jörgen Estrup, Fraktionsvorsitzender der „Radikale Venstre“, „sonst verlassen die sich beim nächsten Mal gleich auf das Folketing, und das freie Tarifvertragsrecht ist wirklich endgültig weg.“ Mit dem geschickten wie kontroversen Schachzug einer zumindest vorübergehenden Finanzierung des Zusatzurlaubs über den Verzicht auf Steuereinnahmen, versuchte Rasmussen jedenfalls noch das Beste aus der ihm von den Gewerkschaften eingebrockten Lage zu machen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen