Unerwünschte Meteore

■ Die Orgelklasse Ericsson rekonstruierte ein abgesagtes Konzert

„Zum Glück wurde das Konzert abgesagt“, schrieb der Kritiker des Weser-Kurier, Ludwig Roselius, 1962 und setzte „Konzert“ dabei auch noch in Anführungszeichen: Hans Otte hatte für seine zweite „Pro Musica Nova“ drei Werke in Auftrag gegeben, deren Uraufführungen von den damaligen Domherren untersagt wurden. Nun hat das Konzert stattgefunden, zum ersten Mal in Deutschland. Aber gefährdet war es nach 36 Jahren ein zweites Mal (wir berichteten); das Zustandekommen gelang buchstäblich in letzter Sekunde. „Volumina“ von György Ligeti, „Interferenzen“ von Bengt Hambraeus und „Improvisation ajoutée“ von Mauricio Kagel erklangen im Dom im Rahmen der Festwoche der Hochschulkonzerte. Hans Ola Ericsson, Professor für Orgel, hatte mit seiner Klasse „das unerwünschte Konzert“ in die klingende Tat umgesetzt, unterstützt vom Leiter des Studienganges Kirchenmusik Wolfgang Baumgratz.

Ericsson selbst interpretierte „Volumina“ von György Ligeti, jenes Stück, dessen Wirkung Ericsson als „Wellenbrecher“ bezeichnet hat: noch heute wirken die überwältigenden Klangflächen, an die reelle elektronische Musik nur schwer rankommen dürfte, wie eben erfunden. In der wahrhaft glutvollen Interpretation von Ericsson wurden aus den zum Teil mit dem gesamten Arm zu spielenden Klängen regelrechte Körper, die in sich ein reges Leben präsentieren. Ligeti geht an die Grenzen des Möglichen, das Stück schwankt ständig zwischen dem Eindruck, daß es eine Zumutung für das Instrument ist und dem, daß alles aus ihm herausgeholt wird.

Ganz anders die „Interferenzen“ von Bengt Hambraeus, interpetiert von Karin Gastell. Der schwedische Komponist interessierte sich vor allem für bis dahin nicht genutzte akustische Vorgänge, die er nicht verwechselt haben will mit Klängen der elektronischen Musik. Karin Gastell breitete auffällig einfühlsam, geradezu hinein- und vorhorchend, den poetischen Klangkosmos aus, der im Unterschied zu der Fülle von Ligeti mehr Kleinteile aneinandersetzt.

„Improvisation ajoutée“ von Mauricio Kagel, dem augenzwinkernden Spieler und Spötter in der Neuen Musik, wagt noch etwas ganz anderes: Kagel bezieht die zwei Registranten aktiv mit ein, die rufen, lachen, schreien, singen, pfeifen, sogar nach einer eigenen Partitur: Die Kommunikation zwischen allen dreien hebt vollkommen „die gewöhnliche Majestät des königlichen Blabla“ auf, wie der Komponist sagt. Michael Dierks als Spieler und Manuel Uhing und Michael Vogt als Registranten agierten gekonnt und lustvoll, am Ende noch kräftig unterstützt von ihrem Lehrer.

Wieder einmal wurde deutlich, daß das, was in Neuer Musik normal und selbstverständlich ist, für die „Königin der Instrumente“ noch lange nicht gilt, obschon diese drei Stücke, die damals dann in Schweden uraufgeführt wurden, als Initialzündung einer neuen Richtung von Orgelkomposition wirkten: „Dieses Stück schlug Anfang der sechziger Jahre in die deutsche Kirchenmusik ein wie ein Meteor“, sagte der berühmte Organist Gerd Zacher. Dies deutlich gemacht zu haben, ist das Verdienst dieser Konzertrekonstruktion, einer künstlerischen Tat, die eine Hochschule für Musik ganz besonders schmückt.

Ute Schalz-Laurenze