: Gnadenlose Dummheit
■ betr: „Freie Hand für Belgrad“ (Der Westen läuft Gefahr, an einer Tragödie im Kosovo mitschuldig zu sein), taz vom 7. 5. 98
Hat die westliche Politik und Öffentlichkeit etwas aus Srebrenica gelernt? Wohl kaum. Erich Rathfelder zieht zu Recht diesen Schluß und weist folgerichtig parallel auf dieses größte Massaker in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Und außer der taz scheint die Öffentlichkeit und den Medien in Deutschland nicht klar zu sein, wie gefährlich die Gewalt im Kosovo für die ganze Region ist.
Herr Brebeck übt sich in den ARD-Tagesthemen darin, serbische Propaganda zu verbreiten, in anderen Zeitungen wird das Thema fast totgeschwiegen. Zum Vergleich brachte die Washington Post in den letzten vier Tagen 22 Artikel zum Kosovo. Und hier wird die politisch/militärische Taktik der Serben sehr gut auf den Punkt gebracht: „the concepts are like in Bosnia: blow the hell out of it“. Wie in Srebrenica und fast ganz Ostbosnien.
Was Rathfelders Analyse fehlt, ist der Hinweis auf die Situation der Muslime im Sandschak. Wie werden sie sich im Falle eines Krieges zwischen Serbien und Albanien verhalten, wie werden sie behandelt werden? Verhalten sie sich wie die Serben in der Krajina am Anfang des Krieges zwischen Kroatien und Serbien? Es gibt im inzwischen von den Amerikanern hochgerüsteten Bosnien viele Menschen mit offenen Rechnungen, die nur auf eine Gelegenheit warten, diese zu begleichen. Eine Unterdrückung der Muslime im Sandschak wäre für diese Menschen der richtig Anlaß. Die Gefahr, daß sich ein Kosovo-Konflikt ausweitet, ist enorm hoch. Verantwortlich dafür ist der gleiche Aggressor wie im Bosnienkrieg: Milošević. Doch der ist ja von der westlichen Politik beim Konflikt Plavšić/Karadžić-Clan als Friedensengel aufgebaut worden. Eine gnadenlose Dummheit der internationalen Politik, die sich jetzt rächt. Und wie in Srebrenica ziehen sich wieder alle auf die Aussage zurück: wir sind neutral. Und es werden wieder alle zuschauen, oder Blauhelmsoldaten entsenden, die die Ermordung Tausender Menschen überwachen. Marc Wiese, Gießen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen