: Scharfe Sache lau genossen
Mit einem „schulscharfen Verfahren“ stellen Schulen in Nordrhein-Westfalen ihre LehrerInnen selbst ein. Doch die Schulbürokratie hat sich ihren Einfluß bewahrt ■ Von Isabelle Siemes
Düsseldorf (taz) – Bislang wurden Lehrer an Rhein und Ruhr angeheuert wie überall in der Republik: Die Schulaufsicht wies den Pennen die „Lehrkräfte“ zu. Schüler, Eltern und Kollegen hatten keinen Einfluß auf die Einstellung. Ein neue, sogenannte „schulscharfe Ausschreibung“ von Lehrerstellen soll der anonymen Personalpolitik ein Ende bereiten: Schulen wählen die geeignetsten BewerberInnen selbst aus.
Die für deutsche Verhältnisse revolutionäre Einstellungspraxis hatten einige Schulen Nordrhein- Westfalens bereits im letzten Schuljahr getestet: 5 Prozent der Stellen wurden „schulscharf“ besetzt. Nun soll das nordrhein-westfälische Modell richtig greifen, die Schulen schreiben die Hälfte der Lehrerstellen selbst aus.
Anstoß für das schulscharfe Verfahren gab die Denkschrift „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“ von 1995. Die Auswahl der LehrerInnen erfolge bislang zu „ortsfern“ und nach „dem beamtenrechtlichen Prinzip der Bestenauslese“, lautete die Kritik der bundesweit viel beachteten Denkschrift an der hergebrachten Einstellungspraxis. Das eigenständige Auswahlrecht der Schulen ist ein wichtiger Baustein der Profilbildung von Schulen. Wenn aus Lehranstalten lebendige Einrichtungen mit eigenen Schwerpunkten werden sollen, müssen die Schulen „individuell geeignete“ Nachwuchslehrer selbst einstellen können.
Das neue Verfahren bereitet allen Beteiligten einige Mühe. 25.000 Bewerbungen sind allein im Regierungsbezirk Köln für 388 ausgeschriebene Stellen eingegangen. Das sind im Schnitt 65 Bewerbungen pro Stelle. Ähnlich sieht es in Düsseldorf aus. Fast bescheiden mutet dagegen der eher ländliche Regierungsbezirk Münster mit 4.700 Bewerbungen für 180 Stellen an.
Bisher wird das „schulscharfe“ Verfahren nur in NRW praktiziert. Allerdings gibt es ähnliche Bestrebungen in Schleswig-Holstein. „Ein stärkeres Mitspracherecht der Schulen bei Lehrereinstellungen ist Ziel in fast allen Bundesländern“, sagt Susanne Zimmermann, Sprecherin des NRW-Schulministeriums.
Doch die schulscharfe Einstellung für mehr schulische Selbständigkeit funktioniert nicht so, wie es sich die Erfinder dachten: Die preußisch geprägte deutsche Schulaufsicht hält auch im liberalen NRW weiter den Daumen drauf. SchuldirektorInnen und Kollegien erstellen für die Ausschreibung zwar ein „Anforderungsprofil“ – etwa Erfahrungen mit AusländerInnen-Pädagogik, bilingualem Unterricht oder ein Montessori-Diplom. Aber die Bezirksregierungen prüfen weiterhin nicht nur die Ausschreibungen. Sie sichten auch die eingegangenen Bewerbungsunterlagen. Erst danach dürfen die Schulen die künftigen LehrerInnen zum Auswahlgespräch einladen.
Mehrere Wochen werden Kartons voller Bewerbungen nach dem Aschenputtelprinzip sortiert: Die Guten (Bewerber A paßt perfekt zum Schulprofil) kommen ins Töpfchen der Auswahlkommission. Und die Schlechten landen – ebenfalls in der Auswahlkommission. Paragraph 7 des Landesbeamtengesetzes ist die Zaubervorschrift, nach der sich die Schulbürokratie ihren bestimmenden Einfluß bei der Auswahl neuer Lehrer sichert. Er besagt, daß die besten Bewerber nach „Eignung, Leistung und Befüähigung“ eingestellt werden – und das überprüft traditionell eine Behörde und nicht etwa die Schule. „Die Auswahlkommission macht einen Einstellungsvorschlag – den die Bezirksregierung nach Paragraph 7 prüft“, schildert der Schulministeriale Georg Großpietsch die Prozedur.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sieht so Sinn und Zweck der Verfahrens auf den Kopf gestellt. „Eigentlich soll das spezielle Schulprofil entscheiden, in Wirklichkeit zählt aber wieder die Note“, kritisiert GEW-Sprecher Michael Schulte. Nur im äußersten Notfall würden Lehrer eingestellt, die etwa nur eine Note drei haben – selbst wenn sie genau auf das Profil einer ausgeschriebenen Stelle passen. „Eigentlich heißt es, die Schulen sollen es selbst machen, aber die Schulaufsicht schreibt alles detailliert vor.“ Die Bezirksregierung Düsseldorf etwa regelt Bewerbungsgespräche sehr penibel: Ganze sieben Minuten stehen den BewerberInnen für ihre Vorstellung zur Verfügung.
In den Niederlanden, wo das Auswahlrecht nicht nur an den über 60 Prozent privaten Schulen gehandhabt wird, stellen die Schulträger ihre LehrerInnen wirklich selbst ein. Das Ministerium übt dort nur indirekt Einfluß aus, indem es die Vergabe der allgemeinen Lehrqualifikation regelt.
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