piwik no script img

Die Erleuchtete löst das Welthungerproblem

■ Seit sechs Jahren ernähre sie sich nur von Licht, behauptet die 41jährige Australierin Yasmuheen. Dabei zeigt die „Gottgesandte“, daß sich mit jedem Unsinn Geld verdienen läßt

Sicher haben Sie sich schon mal von Luft und Liebe ernährt, bestimmt aber noch nicht von Licht. Am Wochenende war die 41jährige Australierin Yasmuheen in Berlin und verkündete den neuen Kick. Sie behauptet, sich nur von Licht beziehungsweise Prana zu ernähren, seit sechs Jahren schon. Prana, das soll so eine Art übernatürliche Quelle sein, die nicht nur den gequälten physischen Leib mit allen nötigen Nährstoffen versorgt, nein, Prana kann noch mehr, Prana kann das Welthungerproblem lösen. Ist es denn möglich oder nur Humbug, mit dem sich ein paar Mark verdienen lassen?

Eine telefonische Umfrage befriedigt die Neugier kaum. Eine Dame von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung hält Yasmuheen für eine Lügnerin, selbst wenn sie wie eine Pflanze fähig sei zur Photosynthese. Ein Physiker der Freien Universität will unter keinen Umständen in diesem Zusammenhang zitiert werden, obwohl er anmerkt: „Das wäre eine Weltsensation, wenn Sie mir diese Frau anschleppen. Aber das ist ja so abstrus!“ Der Calciumbedarf, die Mineralien. Das sei alles eine Frage, wie stark das Wasser angereichert sei, das diese Frau ja wohl zu sich nehme. Da hat er recht: „Wasser und Tee trinkt sie. Wenn sie Lust hat, ißt sie auch mal ein Stück Schokolade“, bestätigt Herr Reinig, Veranstalter des Einführungsvortrages am Freitag abend im Logenhaus in Wilmersdorf.

Der Saal ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Etwa dreihundert Leute sind gekommen. Ihr Alter reicht von zwanzig bis siebzig. Eine erwartungsvolle Stimmung und sphärische Klänge liegen in der Luft. Beinahe erwartet man, daß Yasmuheen auf die Bühne schwebt. Sie trägt ein langes Kleid, gemustert wie das Fell eines Leoparden. Wie froh sie ist über soviel „Resonanz“! Schließlich hat jeder, der hier andächtig von ihrem Munde die Botschaft in Empfang nehmen möchte, 50 Mark Eintritt bezahlt. Für das Wochenendseminar muß man gleich 350 Mark hinblättern. Ein Schnäppchen!

Yasmuheen haucht beinahe, sie ist so sanft, diese erleuchtete Seele. Jeder von uns hier habe einen Job, einen Auftrag. Und: Das Leben habe einen Sinn. Ihr Auftrag sei es, zu einer Lösung des Welthungerproblems beizutragen. Unerwartet verändert sich nach diesen einführenden Worten ihr Ton. Bevor sie nach Deutschland gekommen sei, habe sie mit den aufgestiegenen Meistern telepathisch kommuniziert. Toll! Von den Meistern habe sie das Gefühl „gechannelt“, das Deutschland am Blühen hindere: „Schuld!“ Die Leute im Saal sind baff. Ja doch, Adolf Hitler habe eine sehr gute Arbeit gemacht, denn Gott habe jemanden gesandt, der soviel Blut vergieße, daß danach niemand mehr Lust darauf habe. Adolf habe sich sogar freiwillig gemeldet. Einer müsse ja schließlich die Drecksarbeit machen. Das würden auch die Meister der „höheren Ebene“ so sehen.

Ihr Auftrag sei dagegen viel leichter, erklärt Yasmuheen. Wie wahr. Da regt sich kein Lüftchen in der Andacht. Da ist kein hochfliegender Geist, kein Anzeichen von Tumult. Hier wird alles brav gefressen, was immer einem da vorgesetzt wird. Alle sind so lammfromm, daß man sich im nächsten Moment selbst erleuchtet glaubt.

Wirklich jeder könne ein Botschafter des „Movement of an Awakened Positive Society“ werden. Sie verspricht zu heilen, den Menschen ganz zu machen, gemäßigt und glücklich – mit anderen Worten: gut angepaßt. Was spiele es schon für eine Rolle, wenn das Sozialamt auftrage, die Straßen zu fegen für drei Mark in der Stunde: Dann meditierst du eben. Von Licht zu leben, das sei für sie wie Zähneputzen. Jeder könne sich befreien von der Abhängigkeit gegenüber stofflicher Nahrung. Sie fragt, wer denn bereit sei, durch den Prozeß zu gehen? Zwei Drittel der Anwesenden heben die Hand. Auch nach 90 Minuten ziert immer noch dieses schmiedeeiserne Lächeln Yasmuheens Mund. Das Geschäft geht gut. Das Publikum klatscht. Ralf Knüfer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen