Stimme für zweite Generation

■ Die kommunalen Ausländerbeiräte wollen mehr Einfluß und gründen einen Bundesverband. Wahlrecht für Immigranten und Abschaffung des antiquierten Ausländergesetzes gefordert

Berlin (taz) – Die Deutschen gelten gemeinhin als ein Volk der Vereinsmeier und Funktionäre. Seit dem Wochenende gibt es einen weiteren Verband in Deutschland. Die Mitglieder organisieren sich nach deutschem Recht, sprechen deutsch untereinander und sind meist Mitglieder in deutschen Parteien. Nur den deutschen Paß haben die meisten nicht.

45 Delegierte von 450 kommunalen Ausländerbeiräten gründeten am Wochenende den „Bundesausländerbeirat“. Als Dachverband der demokratisch gewählten lokalen Ausländerbeiräte erhebt das Gremium den Anspruch, die Vertretung nichtdeutscher Einwohner aus dreizehn Bundesländern der Bundesrepublik zu sein. Einzig die ausländischen Bürger von Berlin, Hamburg und Bremen werden nicht repräsentiert, da sich die Vertreter der dortigen Ausländer nicht an der Gründung des Bundesverbandes beteiligten.

Auf der Gründerversammlung am Samstag wurde Murat Çakir vom Kasseler Ausländerbeirat zum Vorsitzenden gewählt. Der 38jährige sagt von sich selbst, er sei ein „klasssischer Vertreter der zweiten Generation“ von Einwanderern. In Istanbul geboren, kam er schon mit neun Jahren in die Bundesrepublik. Çakirs Vater, eigentlich Friseurmeister, heuerte wie die meisten seiner Landsleute als Arbeiter an. Bei Volkswagen in Baunatal baute er jahrelang des Deutschen liebsten Kleinwagen. Heute sind Çakirs Eltern längst in Rente. Ihr Sohn arbeitet als Dolmetscher, studiert nebenbei Architektur und spielt gern mit seinen Identitäten: „Vom Gefühl her bin ich Nordhesse.“ Çakir ist Mitglied der SPD und bezeichnet sich als „linken Sozialisten“. Als Vorsitzender des neuen Verbandes sei er aber selbstverständlich zur Überparteilichkeit verpflichtet.

Der türkische Nordhesse hat sich eine Menge vorgenommen. Es gelte ein Wahlrecht für ausnahmslos alle Einwohner der Bundesrepublik durchzusetzen, so der Vorsitzende des jungen Verbandes. „Kein Bürgerrecht darf von der Herkunft eines Menschen abhängig sein“, sagt Çakir. Einen Forderungskatalog von 15 Punkten verabschiedeten die Delegierten in Osnabrück. Darin fordern sie unter anderem die Abschaffung des geltenden Ausländerrechts. Dieses sei zutiefst integrationsfeindlich und gehe an der Realität von „40 Jahren Einwanderung nach Deutschland“ vorbei.

Erst einmal wird der frischgewählte Vorsitzende jedoch für die politische Anerkennung des neuen Verbandes streiten müssen. Ein erster Schritt in diese Richtung war die Schirmherrschaft des SPD- Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder für die Gründungsversammlung.

Dennoch: Ein Bundesausländerbeirat ist im Institutionengewirr bislang nicht vorgesehen. Streit ist vorprogrammiert, etwa wenn Murat Çakir die Abtretung von Kompetenzen der Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen, Cornelia Schmalz- Jacobsen (FDP), an seinen Verband fordert. „Wir sind mündig und wollen unsere Interessen selbst vertreten.“

Die Finanzierung des neuen Verbandes ist noch völlig unklar. Çakir und seine Mitstreiter hoffen auf Bundesmittel: „Für jeden Ausländer nur eine Mark, das wäre ein Budget von 7,3 Millionen.“ Anders als einige Landesverbände, etwa in Hessen, arbeiten beim Bundesausländerbeirat bislang nur ehrenamtliche Mitarbeiter. Das soll sich rasch ändern, selbst der Aufbau einer Bundesgeschäftsstelle in Bonn ist geplant.

Die demokratische Legitimation der Ausländerbeiräte ist jedoch umstritten. Die lokalen Gremien können keine Entscheidungen treffen, aber beratend auf Stadtverwaltungen einwirken. Wahlberechtigt für die kommunalen Ausländerbeiräte sind alle Nichtdeutschen über 18, in einigen Kommunen dürfen auch 16jährige schon wählen. Die Wahlbeteiligung ist meist sehr niedrig. In Frankfurt am Main stimmten 1997 nur 11.520 von 145.793 Wahlberechtigten über ihre Vertreter ab. Robin Alexander