piwik no script img

Kontrolleure stochern zu oft in der Grauzone

■ Ein Jahr mußten alte Menschen leiden: Aufsicht schloß privates Altenheim erst nach langem Anlauf

Innerhalb von zweieinhalb Stunden war alles vorbei: die 22 BewohnerInnen des privaten Altenpflegeheims „Pro Vita“ in der Stader Landstraße Nummer 50/52 waren umquartiert, das Altenheim geschlossen. Die Bremer Heimaufsicht der Sozialbehörde, zuständig für die Überwachung der Pflegeheime, hatte die Schließung angeordnet. Der Grund: „erhebliche Mängel“ bei Betreuung und Bewirtschaftung. Noch nie zuvor wurde in Bremen ein Altenheim von der Behörde geschlossen. Mit dem Schritt hatte man aber gezögert, seitdem im November 1996 die Mißstände erstmals bekannt geworden waren.

Die Heimaufsicht, die auf Grundlage der Heimmindestverordnung und des Heimgesetzes agiert, kann kaum alle schwarzen Schafe unter den Pflege-Anbietern finden. Regelmäßig besuchen die Mitarbeiter die Bremischen Einrichtungen. Doch auch andere Institutionen wie das Gesundheitsamt oder die Krankenkassen sollen ein Auge auf die Pflegestandards werfen.

Ein „unheimliches Chaos“ entdeckt die grüne Bürgerschaftsabgeordnete Karoline Linnert bei der Überwachung der Pflegeheime – ein Grund für die lange Reaktionszeit der Behörde. Die Heimaufsicht sei nach Stellenstreichungen personell nicht in der Lage, den Pflegebereich umfassend zu kontrollieren. Die Kompetenzen der anderen Kontrolleure seien nicht klar genug definiert. Auch Jürgen Humer von der Gewerkschaft ÖTV, zieht nüchtern Bilanz: Die wenigen MitarbeiterInnen der Heimaufsicht kämen bei der Überprüfung von über 140 Pflege-Anbietern einfach nicht nach. „In den Heimen gibt es eine Grauzone mit teilweise katastrophalen Bedingungen“, meint er. Auch die SPD fordert die Einführung einer unabghängigen Stelle, an die sich Heimbewohner mit ihren Beschwerden richten können.

Der Grund für den erhöhten Kontroll-Bedarf: Mit der Einführung der Pflegeversicherung 1995 schossen private Heimeinrichtungen wie Pilze aus dem Boden. Mit dem Wettbewerb kamen die negativen Begleiterscheinungen des liberalisierten Gesundheitsmarktes: Mitarbeiter werden schlechter bezahlt oder schlechter ausgebildet, Pflegestandards gesenkt. Nun hat es den ersten Bremer Anbieter erwischt.

Die Vorwürfe gegen Pro Vita haben es in sich. Mängel in der pflegerischen Versorgung und bei Mahlzeiten wurden festgestellt. BewohnerInnen sollen in ihre Zimmer regelmäßig eingeschlossen worden sein. Es gab Unregelmäßigkeiten bei den Abrechnungen.

Kai-Uwe Kiehne, Rechtsanwalt des Betreibers, bestreitet nicht, daß es zu finanziellen Unregelmäßigkeiten gekommen sein könnte. Daß die BewohnerInnen schlecht behandelt wurden, dementiert er jedoch heftig. „Weggeschlossen wurde niemand, und auch Ernährungsdefizite gab es nicht“.

Für den Rechtsanwalt gibt es eine andere Erklärung: „Der Betreiber hat sich nach der Einführung der Pflegeversicherung 1995 nicht genug damit auseinandergesetzt, was er Neues tun muß.“ So soll der Betreiber Verträge mit den Heimbewohnern abgeschlossen haben, die nicht von der Ordnungsbehörde abgesegnet waren. Konsequenz: Es wurde möglicherweise zu viel abgerechnet.

Als die Bewohnerzahl zurückging – eigentlich kann das Haus 35 Bewohner betreuen - litt auch die Wirtschaftlichkeit des kleinen Hauses. Nach ewigem „Gezanke“ mit der Behörde, so Rechtsanwalt Kiehne, kam das Aus: Zuerst zogen die Pflegekassen ihre Finanzierung zurück, einige Tage danach die Heimaufsicht.

Christoph Dowe

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen