: Paris: 35 Stunden sind genug
In Frankreich hat die Nationalversammlung gestern mehrheitlich für die Arbeitszeitverkürzung in Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten ab dem Jahr 2000 gestimmt ■ Aus Paris Dorothea Hahn
Seit gestern ist die 35-Stunden- Woche in Frankreich beschlossene Sache. Die rot-rosa-grüne Mehrheit in der Nationalversammlung setzte die Arbeitszeitverkürzung durch, die in Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten ab dem Jahr 2000, in kleineren Betrieben ab dem Jahr 2002 in Kraft tritt. Der im Wahlkampf einmal versprochene volle Lohnausgleich kommt darin jedoch nicht mehr vor. Die konservative Opposition, deren anfänglich lautstarker Widerstand gegen den „staatlichen Dirigismus“ inzwischen fast verstummt ist, stimmte gegen das Gesetz. Jetzt kann der betriebliche Kleinkrieg um die konkrete Arbeitszeitreduzierung beginnen.
Denn das nach Arbeitsministerin Martine Aubry benannte Werk ist lediglich ein „Rahmengesetz“, das die Übergangszeit regelt. Unter anderem sieht es erhebliche Nachlässe bei Sozialabgaben vor, wenn Unternehmen die Arbeitszeit vorzeitig um mindestens zehn Prozent reduzieren und gleichzeitig das Personal um mindestens sechs Prozent erhöhen. Ende 1999 soll ein zweites Gesetz verabschiedet werden, in das die ersten Erfahrungen einfließen sollen.
Das Aubry-Gesetz ist die achte gesetzliche Arbeitszeitverkürzung in der französischen Geschichte. Wie bei jeder dieser Zäsuren hat auch dieses Mal das Patronat ein Psychodrama unter dem Motto „Frankreich verliert seine internationale Wettbewerbsfähigkeit“ aufgeführt. Inzwischen beschränkt sich der Arbeitgeberverband CNPF darauf, Lobbying für eine Jahresarbeitszeitregelung zu betreiben, die einen „flexiblen“ Zugriff auf die Zeit der Beschäftigten erlauben würde. Im Gegensatz zur Regierung, die auf 200.000 zusätzliche Arbeitsplätze hofft, prognostiziert der CNPF, daß das Aubry- Gesetz mehr „Arbeitsplätze vernichtet als schafft“.
Viele GewerkschafterInnen befürchten, die Reform sei zu halbherzig, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Sie verlangen den schnellen Übergang zur 32-Stunden-Woche, die Ausdehnung des Aubry-Gesetzes auf den öffentlichen Dienst sowie eine Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns, der auf Stundenbasis berechnet wird. Zugleich warnen sie vor der Zunahme von unfreiwilligen und schlechtbezahlten Teilzeitjobs infolge des Aubry-Gesetzes.
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