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Der lange Abschied eines Diktators

Indonesiens Präsident Suharto zieht die Konsequenzen und tritt ab –aber erst in acht Monaten. Das Militär ist dafür und fürchtet andernfalls ein Machtvakuum. Millionen wollen heute dennoch für den sofortigen Abgang des Patriarchen demonstrieren  ■ Aus Jakarta Jutta Lietsch

„Demokratische Reformen“, steht auf dem Stirnband des jungen Ingenieurstudenten geschrieben. Agus kann noch nicht fassen, was er gerade hörte: Präsident Suharto hat erklärt, er wolle „dem Wunsch des Volkes nicht mehr im Wege stehen“ und, nach Neuwahlen, endlich abtreten.

Am Morgen hat Indonesiens 76jähriger Regierungschef die Honoratioren des Landes in seinen Palast gerufen: muslimische Älteste, politische Würdenträger und die Spitzen der Armee. Dann trat er vor die Kameras, lächelte und sagte: „Ich frage mich, ob die Menschen mir nicht mehr vertrauen.“ Er werde „sobald wie möglich“ Wahlen einberufen und selbst nicht wieder kandidieren. Das ist eine unerhörte Vorstellung. Seit 32 Jahren, länger als der Student Agus denken kann, war der alte Mann da, der sich mit Vorliebe von seinen Untertanen „Pak Harto“ nennen läßt, „Papa Suharto“.

„Dieses Land wird sich verwandeln“, strahlt der Hochschüler. „Es wird ein besseres Indonesien.“

Vor den großen Parlamentsgebäuden im Zentrum Jakartas scheint es an diesem Dienstag mittag so, als sei der Traum von einem neuen Indonesien schon wahr geworden. Tausende Studentinnen und Studenten in ihren bunten Institutswesten drängen sich auf dem Platz. Sie rufen „Nieder mit Suharto!“, singen aufmüpfige Lieder und schwenken Transparente.

Heisere Studenten, Menschenrechtsanwälte und Universitätsrektoren verurteilen Korruption, Vetternwirtschaft und die Habgier der Regierenden und fordern „Demokratie und Reform jetzt!“.

Doch die erste Euphorie über die Ankündigung wandelt sich schon bald in Skepsis: „Wir wollen nicht mehr warten“, sagt ein Wirtschaftsstudent. „Suharto soll sofort zurücktreten.“

Das sagt Amien Rais, der populäre Chef der 28 Millionen Mitglieder starken muslimischen Glaubensgemeinschaft Muhammadiya, der sich in den letzten Monaten immer mehr zum Sprecher der Opposition gemacht hat, ebenfalls: „Der Präsident macht sich etwas vor. Er will nur Zeit gewinnen.“ Auch die Ankündigung Suhartos, er werde sein umstrittenes Kabinett umbilden und einen „Reformrat“ gründen, der Korruption bekämpfen, Monopole auflösen und die Wahlen vorbereiten soll, löst nur Schulterzucken aus. Da will der Bock sich zum Gärtner machen.

Am späten Nachmittag wird bekannt, wie lange der Präsident noch im Amt zu bleiben gedenkt: etwa acht Monate. Neuwahlen könnten in drei bis sechs Monaten stattfinden, und dann brauche es noch einige Zeit, bis die neue Regierung installiert sei. Das sei der „Kompromiß zwischen den Forderungen der Studenten und der Armee“, sagt Umweltminister Juwono Sudarsono im Fernsehen. Die Armee sei strikt gegen einen schnelleren Zeitplan, weil sie ein „Machtvakuum“ befürchte. Dieses hat Suharto allerdings selbst verschuldet. Weil er in der Vergangenheit jede ernstzunehmende Konkurrentin oder jeden ernstzunehmenden Konkurrenten frühzeitig beiseite räumte, gibt es niemanden, der als Nachfolger oder Nachfolgerin bereit stünde. Das Militär wird zweifellos die Schlüsselrolle dabei spielen, wer Suharto nachfolgt. Ohne oder gar gegen die Generäle wird sich niemand an die Spitze des Staates setzen können. Denn es gibt noch keine funktionierenden demokratischen Instutionen.

Der einzige Machtwechsel, den die IndonesierInnen nach dem Ende der Kolonialzeit erlebten, war ein traumatisches Erlebnis. Über fünfhunderttausend Menschen starben in einer katastrophalen Jagd auf „Kommunisten“ in den ersten Monaten, nachdem Suharto den Staatsgründer Sukarno abgelöst hatte.

Bis zum Abend hat sich die Stimmung im Parlament, das nun von den StudentInnen und Bürgergruppen übernommen wurde, in trotzigen Widerstand gewandelt. Die StudentInnen, die nun in den Sälen und auf dem geschwungenen Dach sitzen, schwören, sie würden „hier nicht weggehen“, bis der Präsident zurückgetreten ist.

Trotz der scharfen Warnung von General Wiranto, der gleichzeitig Chef der Streitkräfte und Verteidigungsminister ist, gingen die Vorbereitungen für die seit Wochen geplante große Anti-Suharto-Demonstration weiter, die am heutigen Mittwoch in Jakarta und den großen Städten des Landes Millionen auf die Straße bringen soll.

Der 20. Mai ist ein Nationalfeiertag, der an den Beginn des Widerstands der Indonesier gegen die holländische Kolonialherrschaft erinnert. Heute wollen Amien Rais und die Vielzahl von Bürgergruppen, Frauenorganisationen, Gewerkschaften, Rechtshilfeinstituten und Umweltvereinen, die zusammen mit Ex-Generälen, Journalisten und neuerdings auch Ex- Ministern die bunte und zersplitterte Opposition bilden, ein Zeichen setzen: „Eine neue Regierung, in der nur die Köpfe ausgewechselt werden, wird nicht akzeptiert“, sagt die Studentin Farimah. Was aber statt dessen kommen soll, das weiß sie auch noch nicht.

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