: Der Sieg der größeren alten Dame
Daß Real Madrids 1:0 über Juventus Turin im Champions-League-Finale verdient war, ist klar. Umstritten aber bleibt: Was sagt uns das Spiel über die WM? ■ Aus Amsterdam Bernd Müllender
Gern verweist der Kicker von heute auf die Angst zu verlieren. Meist taucht diese, so sie nicht komplett spielbegleitend alle Impulse hemmt, im Schlußviertel eines Matches auf. Beim Champions-Leage-Finale von Amsterdam war dieser Moment gerade gekommen, da ließ Predrag Mijatovic die Fäuste fliegen. Reals Ex-Ex-Jugoslawe hatte einen mehrfach unglücklich und unkontrolliert im Juve-Strafraum herumhopsenden Ball einfach, wie man so sagt, abgestaubt.
Und dann war er nur noch faustschwingend über den Platz gerast, seinem Coach Heynckes entgegen, wild vor Jubel und schon vorausahnend, daß das das goldene Goal gewesen sein könnte. Nachher sagen manche, ohne Mijatovicens geniale Eingabe würden Europas Beste vielleicht in diesem Moment noch vergeblich sich mühen.
Ja, das Vorher und das Nachher. Am schönsten sind Vorberichte ja hinterher, wenn sie die harte Schule der Wirklichkeit durchlitten haben. Vom Giganten-Duell war die Rede, vom Stelldichein der möglichen WM-Stars. Manche Kicker, hieß es vorher, seien gar zu Wunderdingen fähig: Zidane sei der neue Platini, und Del Piero und Inzaghi rasende Künstler, quasi unstoppbar. Und wenn Reals Roberto Carlos aufs Tor donnert, würde ein jedwedes Tornetz am liebsten Reißaus nehmen.
Juve gegen Real. Welche Paarung! Franz Beckenbauer, der Seher, hatte sogar gerontologisch argumentiert: „Zwei große alte Damen“ würden da aufeinandertreffen. Und Juve-Coach Marcello Lippi hatte gemeint: „Es erwartet uns das schönste Finale.“
Das war es nicht, aber wenigstens aber auch nicht das ätzendste der letzten Jahre.
Das kann es schon in diesem Stadion nicht sein. Dieses Gigantikum mit dem Imagenamen „ArenA“ stellt vermutlich alles in den Schatten, was Stadien weltweit so zu bieten haben. Steil bis an die Grenze zur Vertikalität. Von tollster Akustik. Ein Tech-Tempel der Labyrinthe und Irrwege. Gigantös, und somit halt ideal für semisynthetische Veranstaltungen wie die Champions League: Hier kann die scheußliche Fanfare noch erbarmungsloser donnern, hier trällert vorher eine Boy-Group, und ein Girl-Haufen hüpft dazu und hopst.
Nur: Mit Fußball alter Art hat das wenig zu tun, wenn... aber wer erwartet das schon noch im Zeitalter der Spaß- und Erlebniskultur. Football goes Pop, gespielt wird fast Hallenfußball mit einem Loch in der Decke.
Juve gegen Real an diesem Mittwochabend war ansehnlich, aber nicht hinreißend. Das Spiel hatte in der engagierteren, leidenschaftlicheren Mannschaft den gerechten Sieger. Juve gegen Real war auch Schaulaufen für die Weltmeisterschaft. War hier jenseits von Ronaldo, der kommende WM-Star zu sehen?
21 Nationalspieler standen in den Anfangsformationen, die meisten werden in Frankreich dabei sein. Wer könnte Topstar werden? Mijatovic, der etliche grandiose Szenen hatte? Kaum, denn den wird Jürgen Kohler schon im zweiten WM-Spiel absensen oder gar töten. Redondo vielleicht, Reals giftiger Argentinier oder der springlebendige Jungiberer Morientes? Beiden wird es an kongenialen Mitspielern mangeln.
Roberto Carlos, der Brasilianer, hat zu viele davon und muß vielleicht, wie in Amsterdam, viel zu sehr defensiv spielen. Illgner bleibt uns, Bianca sei dank, zum Glück komplett erspart.
Und bei Juve? Hollands Edgar Davids nicht, der verschießt nicht nur regelmäßig alle Elfmeter, sondern vergibt auch freistehend, wie in der siebenundsiebzigsten Minute, bar jeder Zeitnot, von genau jenem Elfmeterpunkt Juves letzte Chance so kläglich wie ominös. Eher noch Frankreichs Zinedine Zidane: Ein Allrounder, perfekt im Vorausahnen der Spielentwicklung, mit toller Körperbeherrschung, wo Zweikampf und millimetergenauer Steilpaß eine Einheit sein können. Aber er will manchmal zuviel. Will alles machen und immer die tollsten Dinge. Bei der WM kommt noch der Nationalrausch als Antriebsdroge dazu. Gefährliche Sache. Kann arg hemmen.
Und Italiens Superstars im Sturm? Inzaghi hatte eine tolle Szene. Del Piero hatte genau eine weniger. Er spielte so dürftig, wie sein Backenbart dünn ist. Vorher hatte er semiphilosophös geunkt, „alle Dinge, die nur einen Tag dauern, sind gefährlich“. Tja, so geht es, wenn Favoriten schwarzmalen.
So lernen wir vielerlei Fragen für viele neue Vorberichte und Zukünfte: Ist Juve, Sieger 1996, jetzt schon auf dem Weg zum Abo-Verlierer, zweimal hintereinander haben sie jetzt das Champions-Endspiel vergeigt. Marcello Lippi, dem sie so huldigen in Turin, kommt allmählich in Erklärungsnot, warum die Seinen „früh die Kontrolle über das Match verloren“ haben und Real “mehr als wir gewinnen wollte“.
Die WM dauert 32 Tage. Frage: Auch für Del Piero? Frage: Wie gefährlich ist eine WM überhaupt? Frage: Wie gefährlich wird Del Piero sein?
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