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Das Wort „Rücktritt“ wollte ihm auch bei seiner Verzichtserklärung nicht über die Lippen. Aber die Botschaft war klar: Nach 32 Jahren ist gestern die Ära Suharto zu Ende gegangen. Die Freude der indonesischen Oppositionellen hält sich in Grenzen. Denn für viele ist der neue Präsident, der bisherige Vize Habibie, „nicht viel besser als Suharto“. Aus Jakarta Jutta Lietsch

Es bleibt in der Familie

Dieses Mal lächelte er nicht. Als der indonesische Regierungschef Suharto gestern morgen im Präsidentenpalast vor die Kameras trat und seine vorbereiteten Sätze vorlas, war er sichtlich müde und erschüttert. Er sprach langsam und mit stockender Stimme. Das Wort „Rücktritt“ wollte immer noch nicht über seine Lippen, aber die Botschaft war klar: „Ich gebe mein Amt mit sofortiger Wirkung auf.“

Obwohl seit Mitternacht die Gerüchteküche brodelte, wirkt die Erklärung wie ein Schock. Das Unvorstellbare ist wahr geworden: Die Ära Suharto ist nach 32 Jahren zu Ende. Es sei „extrem schwierig geworden, Führer des Landes zu bleiben“, begründet Suharto seinen Schritt. Er habe es auch nicht geschafft, einen zwei Tage zuvor angekündigten „Reformrat“ zu gründen, weil er keine Leute gefunden habe, die mitmachen wollten. Und dann, ganz ungewöhnlich: „Wenn es in den letzten drei Jahrzehnten Fehler oder Unzulänglichkeiten auf meiner Seite gegeben hat, bitte ich das indonesische Volk, mir zu vergeben.“

Bevor man sich versieht, tauscht der 76jährige den Platz hinter den Mikrofonen in der großen Halle des Präsidentenpalastes mit seinem Freund und Vizepräsidenten, Bacharuddin Jusuf Habibie. Der schwört, während ein Exemplar der Verfassung über seinem Kopf gehalten wird, er werde künftig das Amt des Staatschefs nach Kräften ausfüllen.

Zwei Tage zuvor noch hatte Suharto sich strikt geweigert, freiwillig zurückzutreten, obwohl die Demonstrationen gegen ihn nicht enden wollten und selbst Mitglieder der Regierungspartei Golkar von ihm abrückten. Statt dessen erklärte er lächelnd, er werde „auf Wunsch des Volkes“ sein Kabinett umbilden und „so bald wie möglich“ Neuwahlen organisieren.

Doch dieses Angebot kam zu spät. „Nieder mit Suharto!“ riefen auch weiterhin die Demonstranten, die am Dienstag das Parlament in Jakarta übernommen hatten. Als sich am Donnerstag morgen die Nachricht von Suhartos Rücktritt auf dem Gelände des Parlaments verbreitet, jubeln die jungen Leute. „Suharto ist weg!“ Einige werfen sich begeistert in das große Wasserbecken auf dem Vorplatz, andere brechen in Indianergeheul aus und hüpfen mit der indonesischen Fahne herum.

Doch in die Fröhlichkeit mischt sich Enttäuschung: Habibie ist nicht der, den sich die Leute gewünscht haben. „Der ist nicht viel besser als Suharto“, sagt Ibnu Ali von der islamischen Azzahra- Hochschule in Jakarta. „Habibie gehört zu dem System, das wir ablehnen.“

„Präsident Amien Rais“ steht auf einem Transparent, das zwei Jugendliche an einem freien Platz zwischen den bunten Spruchbändern am Dach des Parlamentsgebäudes anbringen – zum großen Vergnügen der Studenten, die jetzt darüber debattieren, wie es weitergehen soll. Sie fordern „die sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen“, die „Freiheit der Presse“ und ein „Tribunal gegen Präsident Suharto und seine korrupte Familie“.

Die jüngsten Entwicklungen haben viele Oppositionelle überrollt. Schnell reagiert hat Amien Rais. Der Chef der 28 Millionen Mitglieder starken muslimischen Muhammadiya-Gemeinschaft hat sich in den letzten Monaten zum eloquentesten und mutigsten Sprecher der Oppositionsbewegung entwickelt. So prangerte er unter anderem den durch Korruption erwirtschafteten Reichtum der Suharto-Familie an. Rais verhehlt nicht, daß er sehr gern Präsident seines Landes werden möchte.

Rais war es, der die Studenten immer wieder aufgefordert hat, weiter zu protestieren. Seine Anhänger hat der promovierte Politologe vor allem unter den städtischen Muslimen und Jugendlichen. In jüngster Zeit hat er sich auch seine fundamentalistischen Sprüche verkniffen, die die christlichen und chinesischen Minderheiten mit großer Sorge vernahmen. Von Megawati Sukarnoputri, der Tochter des Staatsgründers Sukarno und einstigen Hoffnung vieler Oppositioneller, fehlt hingegen jede Spur. Sie ist bekannt für ihre Unentschiedenheit, und einer ihrer Berater mußte am Mittwoch mit hochrotem Kopf zugeben, daß „sie sich einfach nicht meldet“.

Die Studenten vor dem Parlament sind inzwischen etwas verwirrt. Ihr Idol Rais hat gerade erklärt, er werde eine Regierung Habibie unter bestimmten Bedingungen akzeptieren. Seine Forderung: Die Regierung dürfe „nicht nach Korruption stinken“. Im Kabinett müßten „integre Leute sein, die qualifiziert und nicht korrupt sind und die das Volk wirklich repräsentieren“. Dann, so Rais, werde er Habibie ein halbes Jahr geben. Andernfalls wolle er seine Anhänger erneut auf die Straße führen.

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