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Leichter zurück in den Schoß der Kirche

■ Die evangelische Kirche in Berlin vereinfacht das Eintrittsverfahren. 1997 waren bundesweit mehr Wiedereintritte zu verzeichnen. Denn mehr Menschen wollen Frieden mit der Kirche schließen

Seit gestern ist der pensionierte Pfarrer Werner Radatz wieder im Dienst – ehrenamtlich. Zwischen 16 und 18 Uhr saß er im Berliner Dom und wartete auf Menschen, die in die evangelische Kirche eintreten wollen. Bislang hatte sich die Aufnahmeprozedur über Monate hingezogen. Bei Pfarrer Radatz jedoch, der einmal die Woche zur Verfügung steht, kann man im Ruckzuckverfahren evangelisch werden: Für die wirklich Entschlossenen genügt ein einstündiges Aufnahmegespräch mit dem Seelsorger. Dann wird das neue Mitglied an eine Kirchengemeinde seiner Wahl weitergeleitet und darf am nächsten Abendmahl teilnehmen.

Möglich ist dieses Schnellverfahren in den zentralen Eintrittsstellen der evangelischen Kirche. Nach Vorbild der Hamburger St.- Michaelis-Gemeinde richtete die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg gemeinsam mit der Evangelischen Kirche der Union diese Woche zwei davon im Berliner Dom sowie in der Gedächtniskirche ein. Auch in Bremen, Duisburg und Hannover arbeiten die evangelischen Kirchenleute schon länger daran, die Beitrittsschwelle in ihre Kirche herabzusetzen – mit einer Methode, die auch andere Landeskirchen Deutschlands neugierig macht: Sie zentralisieren das Aufnahmeverfahren und streichen bürokratische Hürden kurzerhand weg. Während ein beitrittswilliger Christ in der üblichen Prozedur ein Glaubensgespräch, drei Monate Bedenkzeit, einen Aufnahmebeschluß des Kirchengemeinderats und zu guter Letzt noch eine öffentliche Begrüßung beim Abendmahl über sich ergehen lassen muß, genügt in der zentralen Eintrittsstelle die Zustimmung des diensthabenden Pfarrers.

Die Kirchenleute wollen mit ihrer Initiative wieder mehr Menschen an ihre Gemeinschaft binden. Sie rechnen mit steigenden Mitgliederzahlen und nicht zuletzt mit steigenden Einnahmen aus der Kirchensteuer.

Scharenweise sind der evangelischen Kirche in den vergangenen Jahren die Mitglieder davongelaufen. 1996 traten in Deutschland 225.602 Mitglieder aus – während nur 58.778 Erwachsene eingetreten sind. Allerdings scheinen die Austrittszahlen im Sinken begriffen, waren im Vorjahr doch noch 70.000 Mitglieder mehr ausgetreten. Die Eintritte nahmen im Vergleich zum Vorjahr um 1.000 zu.

Die Zahlen für 1997 sind noch nicht raus, aber die Kirchenleute glauben, daß die Zahl der Kircheneintritte weiter steigen wird. So auch Bischof Wolfgang Huber von der Evangelischen Kirche Berlin- Brandenburg. Huber erläutert, die meisten Neumitglieder seien schon mal ausgetreten und wollten jetzt wieder mit der Kirche Frieden schließen. Der Wiedereintritt in die Kirche sei in der Gesellschaft aber weitgehend tabuisiert – ein Zustand, der sich mit den zentralen Eintrittsstellen ändern soll. Die ersten 30 Menschen, die in Berlin das vermeintliche Tabu brechen, will Bischof Huber zu einem netten Abend am Wannsee einladen.

Vor dem Berliner Dom hängt von nun an ein gelbes Schild und wirbt für die neue Kircheneintrittsstelle. Zum Aufnahmegespräch bei Pfarrer Radatz sind gestern drei Gläubige angetreten. Ein bißchen spekuliert der Seelsorger darauf, künftig alte Bekannte in der Kirche zu begrüßen. In seiner 33jährigen Amtszeit als Pfarrer in Berlin seien viele ausgetreten, auch eigene Konfirmanden, sagt er. „Vielleicht kommt von denen einer wieder, das würde mich freuen.“ Heike Spannagel

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