: Turnübungen mit Goldsauce
■ Gerade durch seine Perfektion demonstrierte der Cirque du Soleil mit „Alegría“, daß der Zirkus seine Unschuld verloren hat
Normalgutes Bier wird gern als Premium-Schloßbräu vermarktet, den staubigen Traditionszirkus adelt der Cirque du Soleil zu einem schneesauberen Champagner-Show-Ereignis. Die einst von einigen Stelzenläufern 1984 im Kanadischen Montreal gegründete Artistengemeinschaft ist inzwischen ein effizient gemanagter Weltkonzern mit fast 1300 Angestellten, der mit seinen neun bisher erstellten Shows auf mehreren Kontinenten gleichzeitig auftritt.
Nach zwei Jahren mit der neuen Produktion „Alegría“ wieder in Hamburg, gab es nicht den geringsten Grund, an einem Erfolg der Premiere am Freitag abend zu zweifeln. Der Sekt ist kalt, das vielfältige Merchandise-Angebot einladend, die mehr als fünfzig Akrobaten, die zur Hälfte aus den Ländern der ehemaligen Sowjet-union und der Mongolei stammen, sind absolut erstklassig, und manche Momente sind, zugegeben, zum Weinen schön. Schlangenmädchen bieten eine unvorstellbare Biegsamkeit des Körpers, Richard Tovo zeigt einen Feuertanz, als sei er gegen Flammen immun, und Artisten wirbeln unter dem Zeltdach durch die Luft oder trotzen der Schwerkraft auf einem in den Bühnenboden eingelassenen Trampolin.
Doch all das ist kein Zirkus mehr. Es ist eine internationale Stromlinien-Show, Turnen mit Weltmusik mit Goldsauce. Der in aufwendigen Kostümen gesuchte Bezug auf höfisches Barockzeremoniell und andere Übergangsszenen zwischen den akrobatischen Nummern haben nur oberflächlich die Bedeutung, die sie vorgeblich vermitteln. So entsteht statt Poesie nur ein Bild von ihren Möglichkeiten. Zudem hat die unbestreitbare Qualität etwas Distanzierendes. Denn die Show ist so perfekt durchchoreographiert,daß sie Disneyland-kompatibel ist. Dort und in Las Vegas bespielt der Cirque du Soleil auch regelmäßig zwei feste Häuser. Da darf auch das Kino nicht fehlen: ein Film über „Alegría“ steht kurz vor der Fertigstellung.
Die Musik zu alledem ist ein Mix aus Trance und Nino Rota, abgeschmeckt mit Fado, Tango und Klezmer. Dabei hat der Titelsong des Abends, „Alegría“, trotz seines freudigen Namens eine tiefe, untergründige Traurigkeit. Denn hinter der Attitüde des weinenden Clowns steht die Trauer darüber, daß auch der Zirkus seine Unschuld verloren hat. Hajo Schiff Grand Chapiteau, Heiligengeistfeld, Di bis So jeweils 20 Uhr, Sa + So, 16 Uhr, bis Anfang Juli
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