: 1. Mai in Istanbul
■ betr.: „74 Verletzte in Istanbul“, taz vom 2. 5. 98
Soeben aus Istanbul zurückgekehrt, blätterte ich meine taz der vergangenen zwei Wochen durch und war ein „wenig“ enttäuscht, wie unkritisch Ihr die dpa-Meldung über die Auseinandersetzungen zum 1. Mai in Istanbul zitiert habt. Ich war selbst im Rahmen einer Menschenrechtsdelegation vor Ort (auch als unmittelbarer Augenzeuge bei den Zusammenstößen am 1. Mai), und ich möchte die kurze Dpa-Meldung korrigieren. Unsere Recherchen bei den türkischen Behörden und den Anwälten der Verhafteten haben ergeben:
1. Es wurden mehr als 450 Menschen festgenommen. Rund 50 der Festgenommenen sitzen bis dato in Haft und müssen mit Freiheitsstrafen zwischen 1,5 und 3 Jahren wegen Beteiligung an einer „illegalen“ Demonstration rechnen.
2. Rund 250 Menschen wurden verletzt. Ein Mitglied des Volksrates von Gazi ist an den Folgen eines Hirntraumas, das in der Polizeihaft nicht behandelt wurde, verstorben.
3. Bei den rund 10.000 Demonstranten, die an dieser „illegalen“ Demonstration teilgenommen haben, waren nur ein verschwindend geringer Teil Sympathisanten der verbotenen DHKP-C. Die türkische Polizei und die türkischen Medien, die folgsam alles schreiben, was die Behörden ihnen in die Federn diktieren, benutzten die wenigen Anhänger der DHKP-C lediglich als Vorwand, um die friedliche Demonstration aufzulösen.
Der Polizeieinsatz hatte einzig und allein den Zweck, die türkische demokratische Opposition weiter einzuschüchtern. Diese Politik der Repression steht in der Türkei auf der Tagesordnung, und der äußerst brutale Polizeieinsatz am 1. Mai ist in Zusammenhang zu setzen mit der sich verschärfenden Menschenrechtslage in der Türkei. [...] Nico Sandfuchs, München
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