Analyse
: Überstunden-Blues

■ Alle reden von Überstunden, und dabei denkt doch jeder nur an sich

Die Debatte um die Überstunden ist ein Streit, in dem an allen Ecken und Enden geheuchelt und vernebelt wird. Die Gewerkschaften erklären auf der einen Seite mit DGB- Chef Dieter Schulte, die Überstunden in der Industrie müßten heruntergefahren und dafür mehr Leute eingestellt werden. Weniger Überstunden gleich mehr Jobs, so auch die Gleichung, die Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) verkauft. Andererseits aber schreit die Gewerkschaft ÖTV auf, wenn Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) plant, Überstunden abzuschaffen und längere Arbeitszeiten nur noch in Freizeit auszugleichen. Und auch darin haben sie recht.

Denn mit Kanthers Vorschlag fielen vor allem der Lohn und die Zuschläge für die Überstunden unter den Tisch – Busfahrer und Krankenschwestern hätten weniger Geld in der Tasche. Kanthers Vorschlag kommt als beschäftigungspolitische Maßnahme daher, soll aber vor allem Geld sparen. Neue Jobs würden damit nicht geschaffen, rügt die Gewerkschaft ÖTV. Auf längere Dienste zu Spitzenzeiten folgten ruhigere Tage, so daß aufs Jahr gerechnet ein Ausgleich entstehe. Es gibt weder im öffentlichen Dienst noch in der Privatwirtschaft eine Gewähr dafür, daß durch weniger Überstunden mehr Jobs entstehen: Das genau ist die aktuelle Erkenntnis auch aus dem Streit mit Kanther.

Denn Mehrarbeit, die nicht mehr bezahlt, sondern übers Jahr in „flauen Zeiten“ durch Freizeit abgegolten wird, muß für die Arbeitgeber keineswegs bedeuten, daß sie tatsächlich unterm Strich mehr Leute brauchen als zuvor. Die vielen flexiblen Arbeitszeitmodelle in den Konzernen beweisen bereits: Hier sparten die Unternehmer vor allem die Überstundenzuschläge, etwa für die Samstagsarbeit. Zusätzliche Arbeiter tauchten jedoch nicht auf den Lohnlisten auf.

Verbindliche arbeitsmarktpolitische Vereinbarungen nach dem Muster „Gewerkschaften sind für Überstundenabbau, Unternehmer müssen mehr einstellen“ sind kaum denkbar. Die Arbeitgeber wollen keine Verbindlichkeit eingehen, und die Beschäftigten mögen auf das zusätzliche Geld nicht verzichten. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) hat die DGB-Forderung nach einem Spitzengespräch zu Überstunden schon zurückgewiesen. Der Königsweg zum Abbau von Überstunden seien flexible Arbeitszeiten, hieß es bei der BDA. Eben. Bloß werden dadurch nicht unbedingt neue Jobs geschaffen.

Das Niveau der Überstundendiskussion zeigt, daß eine ernsthafte politische Diskussion um Arbeitszeitumverteilung nicht stattfindet. Vielmehr singen Sozialpolitiker und Tarifparteien jeweils nur ihren eigenen Überstunden-Blues.

Barbara Dribbusch