: Angst vor Klassenkeile im Umland
■ Die Zunahme von fremdenfeindlichen Übergriffen auf Berliner Klassen führt dazu, daß manche Schulen nicht mehr nach Brandenburg auf Klassenreise gehen. DGB- und Naturfreunde-Jugend halten aber genau das für
Nach den neuerlichen Angriffen auf Berliner Jugendliche in Brandenburg ist in den Schulen eine heftige Diskussion über die Sicherheit von Reisen ins Umland entbrannt. Der Rektor der Borsig- Realschule in Kreuzberg, Roland Merkel, hat sämtliche Klassenfahrten nach Brandenburg abgesagt. „Der Grund ist ganz einfach Angst“ sagt er. Die Sprecherin der Senatsschulverwaltung, Rita Hermanns, hat ähnliches auch schon von anderen Schulen gehört. Die Schulverwaltung rate aber weiterhin zu Fahrten ins Umland. „Wir können den Rechtsextremisten doch nicht einfach das Feld überlassen“, meint Hermanns.
Das Landesschulamt verzeichnet „eine leichte Steigerung“ von Übergriffen auf Berliner Schulklassen im Umland. Im letzten halben Jahr wurden dort 10 bis 15 Fälle angezeigt. Der taz wurden allein in den letzten zehn Tagen drei Vorkommnisse bekannt. In Eberswalde wurde eine Kreuzberger Hauptschulklasse von Rechten „mit Sieg-Heil!“-Rufen angepöbelt. Sieben Berliner Abiturienten wurden am Kiessee bei Ruhlsdorf von 20 bis 30 Jugendlichen beim Grillen mit dem Ruf „Berliner raus!“ überfallen. Vergangenen Montag schließlich wurden die Siebtkläßler der Kreuzberger Borsig-Schule an einer Bushaltestelle bei Rheinsberg von einer Clique Einheimischer angegriffen. Ein türkischer Schüler wurde gewürgt und gegen einen Bus gedrückt, ein dunkelhäutiger Schüler wurde ins Gesicht geschlagen. Nach einer weiteren Attacke brachen die Lehrer die Fahrt ab. Die Entscheidung, Brandenburg fortan zu meiden, begründet Borsig-Schul-Rektor Merkel damit, daß dies bereits der zweite Vorfall gewesen sei. Ein Jahr zuvor seien türkische Schülerinnen beim Besuch des KZ Sachsenhausen von Einheimischen angepöbelt worden.
Bei allem Verständnis für die Ängste sei das Wegbleiben aber die falsche Konsequenz, sind sich der Geschäftsführer der Berliner Naturfreunde-Jugend, Fred Behnke, und der Leiter der DGB- Bildungsstätte in Flecken Zechlin (bei Rheinsberg), Hermann Nehles, einig. „Bei den Berlinern verfestigt sich das Vorurteil ,in Brandenburg ist eh alles Scheiße‘“, befürchtet Nehles, der viel Erfahrungen mit solchen Konfrontationen hat. „Und die einheimischen Jugendlichen fühlen sich durch das Abhauen in ihrer Fremdenfeindlichkeit bestärkt.“ Im Umkreis des DGB-Heims herrscht seit einem Jahr Ruhe. 1996 hatte dort ein 19jähriger Rechtsradikaler versucht, ein türkisches Mädchen zu überfahren. Nehles Erfolgsrezept: „Knallhartes Auftreten, sobald was los ist, die Polizei holen, klare Grenzen setzen.“ Gleichzeitig versucht er die Jugendlichen der Region in die Workshops einzubinden. Das Fernbleiben der Berliner wäre für den Landkreis verhängnisvoll, ist Nehles überzeugt. „Dann würde hier soziokulturell überhaupt nichts mehr passieren. Hier ist doch der Hund begraben.“ Land und Gemeinden müßten deshalb endlich klar Farbe bekennen: „Wir freuen uns über Besucher“.
Auch beim Brandenburger Kultusministerium wird die „Häufung der Einzelfälle“ mit großer Sorge beobachtet. Wenn nicht von allen Seiten entschieden gegengesteuert werde, „wird die dumpfe Fremdenfeindlichkeit das Land auf Dauer ruinieren“, befürchtet Pressesprecher Stefan Woll. Plutonia Plarre
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